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Steckel, Helmut: Tibet Eine Kolonie Chinas, Hamburg, 1993      Steckel, Helmut: Tibet darf nicht sterben, Hamburg, 1992   Das Neue China, Berlin, 1992

 

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in: Indo Asia, Stuttgart, IV.Q., 1986   Archív Orientální, Prag, 62/1994

 

 

MODELL FUR BHUTAN

 

 

Kunst in der Ruine

 

 

Von Wolf und Barbara Kahlen

 

 

Bhutan ist das grüne Himalayaland, wie Ladakh das ockergelbe ist. Bis in viertausend Meter Höhe grünt es kräftig und gesund. Urwelthafte Bäume, Stein- und Korkeichen, Magnolien und Rhododendron, flechten-behangen, Kakteen in heißen Tälern oder Bambus auf hohen Pässen sind ein täglicher Anblick. Das Land strömt von Wasser, es donnert und regnet entsprechend stark und oft im Donnerdrachenland, noch unbenannte Orchideen sind nicht selten. Der Schneeleopard holt sich im Winter selbst am Rande der Haupt"stadt" Thimphu von der Treppe des Holzhauses, in dem wir zu Gast waren, wie man uns sagte, ein Stück aufgehängtes Fleisch, oder ein Tiger überquert den Pele-la-Paß im Sprung vor dem Landrover, der sich keuchend über den Paß quält, während der Fahrer, umsichtig und erdrutschbewußt, auch immer auf Bewegung von oben, Steinschlag oder plötzlich auf die Straße fallende Bäume achten muß, falls es eine Straße gibt. Wir danken unserem Fahrer für die Sorge um unser körperliches Wohl in mehreren Situationen.

 

 

Bhutan ist ein mittelalterliches Land, Padmasambhava sei Dank. Das vermuten wir jedenfalls, rückschließend auf das, was wir von unserem Mittelalter zu wissen glauben. Aus dem Kontext unserer westlichen Technologieverhaftung sieht das bhutanesische Leben nämlich so aus. Mit welcher anderen Brille könnten wir es auch sonst sehen, mit welchem anderen Maß messen! Versuche, eine andere Brille aufzusetzen oder in einem anderen Maßsystem zu messen als dem gewohnten, gehen natürlich meist und über einen langen Zeitraum fehl. Das ist mehr als ein Bildvergleich. In diesem wörtlichen Sinne bei Versuchspersonen tatsächlich vorgenommene Brillenvertauschungen haben den Wahrnehmungstheoretikern praktisch gezeigt, daß auch schon rein physiologisch viel Zeit nötig ist, bis die Versuchsperson mit der "falschen Brille" aufhört zu schwanken und sich unwohl zu fühlen, bis sie sich an die neue Sicht gewöhnt hat. Tröstlich allerdings sind die Ergebnisse, die beweisen, daß eine Umgewöhnung im Prinzip immer möglich ist. Ja selbst der Träger einer Brille, die alles um 180 Grad auf den Kopf stellt, gewöhnt sich daran, in dieser Sicht der Dinge handlungsfähig leben zu können.

 

Wir wußten also, worauf wir uns einließen im Frühjahr 1985, waren gut vorbereitet auf das Königreich des in den Wolken fliegenden Drachen (Druk-yul), meine Frau Barbara und ich. Als Künstler kannten wir das anstehende Problem. Als dem tibetischen Buddhismus nahestehende Forschungsreisende (ich nahm ein Forschungsfreisemester meiner Tech-nischen Universität Berlin wahr) ebenfalls: Das Stichwort hieß Wahr-nehmungsfähigkeit.

 

Bhutan ist ein Filmtraumland. Wir, seit zwei Jahrzehnten erfahren im Umgang mit Film-, Video- und Tonaufzeichnungen, haben dort keinen Film gedreht, kein "Bild genommen" (to take pictures ist der angemessene Ausdruck für Fotografie). Wir haben keine "schnellen Medien" ins Land gebracht, dagegen versucht, in den Strom des täglichen Lebens einzutauchen, uns dem Wechselspiel unserer Illusionen und der gegebenen Wirklichkeiten, wenn auch nur zeitweise möglich, anzugleichen.

 

Bhutan kann man nicht nüchtern beschreiben, weder in Zahlen noch in Abbildern. Wenn man nicht dort leben kann, und auch dann, kann man nur davon träumen. Wie alle an zwei Händen abzählbaren westlichen Besucher, die bis zur Jahrhundertwende dieses Land als Paradies, als Shangri-la, erlebt und erträumt haben. Der Sieben-Tage-Tourist im heute noch recht verschlossenen Königreich erhält, was er erwartet: den Spiegel der äußerlichen Illusionen nämlich, bewegenden Tanz, magische Geschichtenerzähler, unerklärliche barock anmutende Kunstvielfalt, den quälenden Stachel, nicht alles sehen zu dürfen, und das selbstbewußte strahlende Lächeln der farbenfrohen Bewohner. Dem Leben wird nur die Oberfläche abgeschaut. Das nämlich ist viel tiefer und harmonischer als vorstellbar. Es ist nur sinnlich und nur für den holistisch Wahrnehmenden, also den auch zyklisch denkenden Menschen, tiefer erfaßbar. Der hier mindestens ein Jahrtausend alte tantrische Vajrayana-Buddhismus (in der Form der Drukpa-Kagüypa) hat den Alltag durchwoben mit Schuß- und Kettfäden gröbster bis feinster Sinnlichkeit (der uns bekannten und weiteren Sinne) wie die stets selbstgewebten rohseidenen, prächtigen Kho- und Kira-Gewänder von Männern und Frauen, die sie beim Lehmhausbau mit dem Nachbarn ebenso selbstverständlich tragen wie beim Tsechu, bei den Tanzritualen und den sakralen Festen.

 

Da wir seit Jahren mit Medien arbeiten, war unsere erste zu treffende Entscheidung die am schwersten scheinende: keine Kameras oder Aufzeichnungsgeräte mitzunehmen. Die zweite, ausschließlich zeichnerisch "aufzuzeichnen", schon leichter von der Hand gehend. Das Argument für die erste ist, um es kurz zu sagen, kein "Jäger" zu

 

 

Oben: Ein vom Autor angefertigtes Modell vom Museum in der Ruine.

Rechts: Das Druk-gyel rDzong im Paro-Tal am Fuße der weißen Himalaya-Berge.

 

sein und keine schnellere, heimlichere Waffe zu haben als die Bhutanesen; das für die zweite ist, sich der Zeitwahrnehmung, dem bhutanesischen Rhythmus, durch das langsame Medium der Zeichnung zu nähern. Wir hatten Glück, wir sind heute noch mehr denn zuvor davon überzeugt, daß dies die Schlüssel zum Erfolg wurden. Wir hatten weiterhin Glück, von insgesamt mehr als fünf Monaten in buddhistischen Himalayaländern zwei im Königreich Bhutan sein zu dürfen. Bhutan ist für Touristen nur in Gruppen und maximal sieben Tage lang für ein hohes Eintrittsgeld teilweise zugänglich.

 

Die Einladung der königlichen Regierung galt unserer Arbeit für NUDC (National Urban Development Corporation), vergleichbar einem Landesplanungsamt für Architektur und Stadtplanung. Auf unseren intensiven Routen mit Landrover, Pferd und zu Fuß durch sehr viele, auch schwer zugängliche Landesteile bis Bum-thang und Ura sind Hunderte von Zeichnungen, Abreibungen und Holzschnittdrucke entstanden, in denen sich unser Staunen und Studieren spiegelt. Daraus haben sich (vom Außenministerium erwünschte und erhoffte) Vorschläge in Kunst und Architektur für Bhutan (Four Proposals in Art and Architecture for Bhutan) entwickelt, die wir formuliert und illustriert im Juni 1985 dem Außenminister Lyonpo Dawa Tsering vorlegen konnten. Zwei von diesen betreffen Architektur, einer die Künste, einer das Erziehungswesen. Einen architektonischen Vorschlag wollen wir hier vorstellen.

 

Das Herz strömt dem über, dem sich dieses Land je wirklich geöffnet hat. Vom barfüßigen Bauern bis zu höchsten Formen philosophischen Debattierens der Mönche, im schnellen Wechsel von roterdiger Dürre (Wangduphodrang-Tal) über die schwarzen Berge mit flechtenbehangenen Baumriesen und haushohen Magnolienbäumen (Tongsa-Tal) in lebensfeindliche Kälte von Eis- und Schneewolken (über Phajoding hinaus), beweist dieses Land in seiner autarken Lebensweise, daß das, was wir Mittelalter nennen, eine mehr als mögliche Lebensform war. Es war eine (uns jetzt verlorene) welterhaltende, ganzheitliche. Die Tibeter wie auch die Bhotia haben der Erde ihre Schätze nie danklos geraubt, selbst Bäumen und Wassern (z. B. deren Nagegeistern) stets eine Gegenleistung für eine Entnahme aus der Natur geliefert; den Kreislauf erhalten, die Welt, das Rad in Bewegung gehalten. Wir müssen dies hier kurz skizzieren, um zu verdeutlichen, welche Strukturen das körperliche und geistige Leben Bhutans ausmachen, und um begründen zu können, warum wir das folgende Museumsprojekt entworfen haben.

 

Wir sind keine Träumer und haben gesehen, wie die Yakkarawanen über die Pässe aus dem Chumbi-Tal des heutigen chinesischen Tibet, wenige Meilen vom Druk-gyel rDzong im nordwestlichen Paro-Tal (spa-gro) entfernt, die Plastikthermosflaschen ins Land tragen. Thermosflaschen sind für den stets heiß zu haltenden Buttertee ein Segen. Wir sehen das aversionslos, aber im Kontext eines möglichen Nachlassens der Holzgefäßherstellung bahnt sich ein Problem an. Bei intellektuellem Vorgehen, einem Vergleichen der Vor- und Nachteile dieses oder jenes Materials, bleibt nämlich der Hauptaspekt einer strukturellen Lebensveränderung auf der Strecke: Das aktive, autarke, durchblickende Handeln, das die selbst hergestellten Holzgefäße bestimmt hat, wird verlorengehen. Die Crux der Industriegesellschaft, die Verluste an Unmittelbarkeit und Transparenz der Erfahrung der Gegenstände des täglichen Lebens und des Berufs und damit die Entfremdung von sich selbst, beginnt exakt hier an diesem Punkt der importierten Thermosflaschen.

 

Die zweite bösartige Zäsur im Leben erzeugt die mitgelieferte "Kunst" (meist Industriekitsch-Dekor) auf der Thermosflasche. Dieser kostenlose, passive Kunstersatz (neben der Tatsache, für den Bhutanesen fremd, da nicht ritualgebunden zu sein) wird mit jedem importierten Gegenstand massiv wirksamer. Dann fehlt nur noch der dritte Schritt aller Konsumgesellschaften, die tägliche Zerstörung und das Wegwerfen der "vielen schönen Bilder" der Verpackungen, und schon beginnt die Erziehung zum egozentrischen Verbrauch, ja - wir übertreiben kaum - eine ungewollte Kriegsvorbereitung schon im Kindesalter. Dies geschieht, sobald nämlich der Punkt überschritten ist, das gestaltete Bonbonpapier nicht mehr wie ein Kind zu glätten und aufzuheben (als Reaktion anfangs bei allen konsumungewohnten Menschen nachweisbar), sondern es, kaum gesehen, wegzuwerfen, wie im nächsten Schritt vielleicht später - ungeborenes Leben. Diese Theorie ist schon allzuoft Praxis geworden. Wir im Westen sollten das wissen.

 

In diesem Moment potentieller Fehler gilt es, äußerst erhöht wachsam zu sein. Für Bhutan sind noch zwei Minuten Zeit. Wir haben daher vorgeschlagen, in den wenigen vorhandenen und neu zu gründenden Schulen ein Lehrfach einzurichten, das Sensibilitätstraining in Form von Wahrnehmungsübungen am täglichen Leben und für das zukünftige Leben beinhalten soll (awareness studies). Ein neben den Schulen zusätzlicher lebendiger Ort dieser Art könnte ein bhutanesisches Museum des täglichen Lebens (Arbeitstitel) sein. Es ist für die bhutanesische Bevölkerung gedacht und nicht für den Tourismus (wenn auch langfristig nicht vermeidbar).

 

Druk-gyel rDzong ist eine ausgebrannte Festung, von Bhutanesen als die "ausgebrannte Schale seiner früheren Herrlichkeit" bezeichnet. Damit ist die einst lebendige Burg vor dem höchsten Berg Bhutans, dem Chomo-Ihari, auf ihrem Felsrücken wie alle Dzongs strategisch die Täler einblickend, an einer der wichtigsten Paßstraßen zum besonders fruchtbaren, daher gut besiedelten Paro-Tal, ein idealer Ort mit symbolhafter Bedeutung. Wie alle Dzongs liegt auch dieser nicht auf dem Scheitel der Berge, sondern auf der Nase, genauer gesagt auf dem Nasenrücken oder oft auch der Nasenspitze.

 

Sowohl der Gedanke der Anhaftung als auch der der allgegenwärtigen Vergänglichkeit in der buddhistischen Terminologie materialisieren sich geradezu in dieser Ruine. Wenn Bhutan sich entschließt, sie zu erhalten, wie wir es vorschlagen! Denn auch diesen Dzong noch nur wiederherzustellen, wäre eine eher verarmende, keinesfalls eine bereichernde Tat in diesem Land voller Dzongs. Einer mehr oder weniger verändert nicht viel an der Essenz der Erfahrungen.

 

Im Osten Bhutans, im hochgelegenen Bumthang-Tal, erleben wir zur Zeit den Bau eines neuen Tempels neben zwei alten Gebäuden eines grandiosen Heiligtums Guru Rinpoches, genannt Kurje (sku-rje IHakhang). In der faszinierenden Perfektion und Autarkie einer mittelalterlichen Bauhütte leben und arbeiten hier viele Spezialisten nach jahrhundertealten Regeln. Sie schmieden ihre Werkzeuge, metzen den Stein, verdichten Lehmmauern, schnitzen filigrane Reliefs in

 

 

Kosmische Architektur, Zentrum des Dzongs, den Weltberg Meru darstellend.

 

gewaltige Holzbalken, die von Hand mit macheteartigen Messern zwischen nackten Füßen aus Urbäumen gehauen werden, bemalen in leuchtendem Blau, Rot und Gelb die Wände mit Symbolen und bereiten sich vor, wie derzeit auch im Tempelneubau in Ura, acht bis zwölf Meter hohe tempelfüllende Lehmfiguren Padmasambhavas oder Mahakalas, mit einem Sud des Daphnestrauches gefestigt, zu errichten. Ein würdevolles langzeitliches Schauspiel ohnegleichen, ein jahrefüllender Film mit Klang, Geräusch, Geruch, taktilen und olfaktorischen Sensationen in der Worturbedeutung, erfüllt, von einer einheitlichen Weltsicht mit hohem philosophischen Hintergrund, auch wenn dieser dem jeweiligen Handwerker, vielleicht auf verschiedenen Bewußtseinsebenen, mehr oder weniger rein oder Bönglauben-durchdrungen bewußt ist. Alle tragen ihre Tsubas in bhutanesischer Seide (bura) oder rot-gelbem Wollstoff (menzimatra) und silber- oder lederumhüllte Messer am handgewebten Gürtel (kera) oder in der Bauchfalte, griffbereit für die verschiedensten Zwecke, nur der Architekt noch zusätzlich den rechten Winkel und stolz seine Armbanduhr.

 

Druk-gyel rDzong wäre ebenso leicht mit einer Bauhütte oder in selbstverständlicher Nachbarschaftshilfe oder als Dienstleistung für den König wiederhergestellt. Teilweise soll das auch nach unserem Plan geschehen. In die außen intakten steilgeböschten tibetischen Mauern des 17. Jahrhunderts, die nur nach innen bröckeln, sollen wieder klare offene gepflasterte Höfe (doshe), das Haupttempelgebäude (utse) und ein querriegelndes großes Gebäude in exakt traditioneller Form wiederhergestellt werden. Zusätzlich sollen die zwei Wehrtürme (rtag-tshang) am Hang vervollständigt, die bisher verdeckten Gänge zu diesem und einer unterirdischen Ouelle geöffnet, glasüberdacht und für eine neue Nutzung erschlossen werden. Besonderes Augenmerk ist der Nahtstelle von Ruine zu "Neubau" zu widmen. Hier muß künstlerisch-architektonisch deutlich werden, daß das Alte nicht durch Neues überwunden wird, sondern jenes in diesem nur seinen dualen, aber nicht polaren Widerpart findet, hier muß sich die buddhistische Staatsphilosophie artikulieren. Wir haben verschiedene Lösungen dafür gefunden und erprobt: In Berlin ist seit Oktober 1985 eine "Ruine der Künste Berlin" eröffnet, unser privates Kunstzentrum, ein materialisiertes Analogon, wenn man so will, wie ein Modell für Bhutan. In die Asche einer Kriegsruine haben wir einen Phönix, ein neues Haus, eine neue weiße Innenhaut auf eine zernarbte alte Außenhaut gebaut und einen Fußboden hineingelegt, der die Wände nicht berührt und über der alten Gebäudedecke "schwebt". So wird die Präsenz beider Zeiten, Vergangenheit und Zukunft, in der Gegenwart sichtbar. So weist sich die "Ruine der Künste Berlin" als ein "Ort für materielle und immaterielle Künste" aus, wie es auf einer Tafel am Eingangstor zu lesen ist.

 

In diesem "großen Modell" stand im April/Mai 1986 das kleinere etwa drei Meter große Modell des Dzongs, an dem wir den Gesamtkomplex als architektonisches Massemodell weiterstrukturiert haben. Die zu diesem Zweck eingerichtete große Ausstellung mit dem Titel "Projekt - Museum of Daily Life - Bhutan / Himalaya" umfaßte eine Auswahl aus unserer Arbeit in Bhutan, ca. siebzig Zeichnungen, Gouachen und Abreibungen, exemplarische Kultgegenstände und das Architekturmodell, das wir in mühevoller Arbeit aus nicht vorliegenden Daten über alte Fotos hochgerechnet und rekonstruiert haben.

 

 

Das homogene Museum

 

Zur Veranschaulichung des Museumskonzepts ist es notwendig, noch eine Andeutung unserer Forschungsarbeit in Bhutan, die sich grob schon in unserem Report an die Regierung spiegelt, zu geben.

 

Die profane und kultische Kultur des Landes ist ein homogenes Museum klarer Prinzipien der Erkenntnis der materiellen Welt und immaterieller Grenzenlosigkeiten. Da alle Erscheinungen im besten Falle Spiegelungen, wenn nicht nur persönliche oder auch kollektive Illusionen sind, ist das Symbol die einzige allgemeine Repräsentanz von Wirklichkeiten. So konnten wir eine Zahl von Grundstrukturen in den Gegenständen des Lebens, den Künsten und der Architektur feststellen, die in der Summe eine faszinierende Klarheit ergeben, was umso erstaunlicher ist, als wir selbst mehr als ein Jahrzehnt vor der vermeintlichen Komplexität der buddhistischen Welt kapituliert hatten. Lassen wir die Verwendung von Farbe im Land einmal (Verzeihung, daß wir künstlich, gar nicht holistisch wahrnehmend vorgehen) beiseite, so kann das, was wir an Kultur in Bhutan bis in die einsamsten Höhlen und Täler vorfinden, als eine Schatzkammer skulpturalen Bewußtseins oder wie ein lebendes Architekturmuseurn gesehen werden.

 

Bauwerke wie Gegenstände sind sozusagen eine verdichtete Form eines Lebensprozesses, Abbild und Materialisierung zugleich, wie der Chörten (mchod-rten) in seiner Form- und Zahlensymbolik sich von größter Entfaltung im Sockel zu größter Sammlung in der Spitze verdichtet.

 

Die Voraussetzung ist ein "neues" strukturelles Verständnis von Skulptur und Architektur, wie wir und vergangene Kulturen es haben. So veranschaulichen wir in unserem Bericht, daß es über. die traditionelle Vorstellung von Architektur und Skulptur hinaus zum Beispiel noch folgende Forrrien architekturalen Bewußtseins gibt.

 

Zum Beispiel: Viele Ritualgegenstände, ob beständige oder prozeßhaft vergängliche, wie es der zyklisch ganzheitlichen Sicht entspricht, sind nicht nur von ihrem Ursprung her - architektonisch gedacht, wie die Butterskulpturen (torma), tönerne Opferchörten (ts'a ts'a), tragbare Kultschreine (tashigomang), geweihte Opferbrote für das Neujahrsfest (Ihosar), Reispyramiden, chatiya, shen, ganza tsheringma usw. Von den Paßbenutzern als Dank aufgeworfene Steinhaufen auf den höchsten Pässen (Iab'cha) sind deutlicher Ausdruck des gleichen Denkens wie landschaftsarchitektonische Gesetzmäßigkeiten des Setzens bestimmter Bäume im Kontext einer Kloster(gönpa) oder Tempel-(IHa-khang)gründung. Selbst Körperarchitektur läßt sich finden. Kopfbedeckungen wie auch Tanzfigurationen oder Masken sind oft deutlich im plastisch räumlichen Sinne wie Architekturen aufgebaut. Die traditio-ellen Formen der Architektur in ihrer Vielfalt" zusammen mit den genannten Beispielen und weiteren Gruppierungen wie rituelle Innenarchitektur, tragbare Architekturen und landschaftsspezifische Zelt- und Felsarchitekturen bilden eine großartige Summe zu erforschenden Materials.

 

Die verschiedenen Gruppen sind keine artifiziellen, divisionistischen Unterteilungen, wenn wir erkennen, daß die Methoden des "bauenden Vorgehens", also des Denkens in Architektur, sie wieder direkt vergleichbar machen: Ein Reismandala wird wie ein Chörten gebaut, ein torma eventuell wie ein thangkha komponiert, eine Geisterfalle aus Wollfäden entwickelt sich in großen Formaten zu umspannten Räumen wie die Innenhofbalustraden eines doshe usw.

 

Wenn es möglich ist, dieses "geschlossene System" von Bewußtsein in dem geplanten Museum sichtbar und lebendig werden zu lassen und zu erhalten, dann erfüllt es unsere erwünschten Funktionen. Dazu gehören neben aktiver Benutzung für rituelle und profane Zwecke (wie oben genannt) "bewahrende Räume", Werkstätten aller Art und verschiedene Schulen. Das "Museum" sollte also eine Art Schmelztiegel werden.

 

 

Ein Plan für Bhutan

 

Das "Museum des täglichen Lebens Bhutan", rekonstruiert nach Fotos von Jean Claude White von 1905/07 und eigenen Skizzen von heute, könnte Wirklichkeit werden. Es könnte das jetzige beengte Nationalmuseum im Paro sTag-tshang ergänzen und verstärken und in eine neue Museumskonzeption münden, die unseres Wissens noch unerprobt ist. Ein Plan für Bhutan, ein guter, glauben wir.

 

Druk-gyel rDzong ist realisierbar.

 

Sein museales Konzept ist komplex. Wir müssen ausgehen von den historischen Funktionen eines Dzongs als eines lebendigen Zentrums des Talgeschehens in diesem wie ein gewaltiges Blatt gefalteten Land mit Nord-Süd-Tälern und mühsam von West nach Ost überschreitbaren viertausend Meter hohen Graten. Die einzelnen Talfürsten (Penlop) versammelten (wie auch heute noch), zusammen mit den Klosteräbten oder dem "Landeskardinal" Je Khempo, in den Dzongs eine Art Justizpalast (obwohl es fast nichts zu richten gibt), die Lager des Finanzamtes für die direkten Steuern in Naturalien, die Akademie der Künste, die Sprachschule, die Universität, die Handwerkszünfte und das geistige Zentrum, das Kloster. Nur der private Handel war ausgeschlossen von diesem Kreislauf und fand vor den Toren des Dzongs statt. Es wird nicht schwer sein, diese Funktionen wieder in Gang zu setzen. In manch anderen Dzongs ist dies noch der Fall. Darüber hinaus rücken aber neue Funktionen in den Blick, die zunächst museal klingen (daher der Arbeitstitel "Museum des täglichen Lebens"), es aber nicht sein müssen. Es geht um eine prozeßhafte, aktive, einfühlsame Neuorientierung im Zusammenhang mit der von dem jungen großartigen König Jigme Singhi Wangchuk behutsam eingeleiteten Öffnung des Landes nach außen. Die Herausforderung kristallisiert sich in der erwähnten Thermosflaschenproblematik. Wenn sich also im Museum etwas sammeln wird, das sonst verlorenginge, ist das die erste notwendige Reaktion, der aber Aktionen in der erwähnten Form der "Awareness Studies" folgen müßten. Das Konzept ist noch offen und diskutierbar.

 

Ideal wäre ein Entwicklungsprozeß im Sinne Thartang Tulkus, der in seinem Buch "Time, Space and Knowledge" (1977) von Zeit und Großer Zeit, von Raum und Großem Raum, von Erkenntnis (Wissen) und Großem Wissen spricht.

 

Sein "Zulassen ist die primäre Eigenschaft von Raum" könnte im schönsten Falle die Entwicklungsstrategie des prozeßhaften "Museums" werden. Die berührbare Oberfläche des ausgestellten Gegenstandes dort stellt dann nur die undurchlässige Äußerlichkeit des begrenzt gedachten kleinen Raumes dar, während das karmische Denken - alles hängt von allem ab, jedes bedingt jedes schon mehr die durchscheinende Essenz der Dinge und Lebewesen, den Großen Raum spiegelt. Alle "Sammlungen" des "Museums" sollten in diesem philosophischen Sinne gesehen werden und im gleichen Sinne repräsentierend lebendig bleiben, auch, wenn sie dann da"stehen". Das ist ein didaktisch, methodisch großes Unterfangen, eine neue Herausforderung, ohne Vorbild. Die Notwendigkeit konnte erst mit der veränderten Zeit für Bhutan erwachsen. Nun ist sie da, eine Chance, es besser zu machen als andere bisher verschlossene Länder.

 

Wir haben in der Praxis der vielen Zeichnungen in Bhutan eine größere Zahl von Ordnungsprinzipien gefunden und artikuliert, die Ansätze dazu darstellen. Um nur ein Beispiel hier zu nennen: Da ist das architektonische "Auftürmen" von Fels im Fluß oder von Steinen wie in Lapchas oder beim Chörten oder dem Aufbau eines kosmischen Mandalabildes ebenso wie im Übereinandertürmen der Tempeldächer bis hoch zur goldenen Spitze oder den Ehrenschirmen klar und deutlich miteinander vergleichbar. Wir sind gerne bereit, aus unserer langjährigen Lehrerfahrung im deutschen und amerikanischen Umfeld heraus Bhutan zu helfen und mitzudenken bei den anstehenden Problemen. Es ist immer noch zwei vor zwölf.

 

© Thang-stong-Gyal-po Archiv Berlin