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Photos in: The Ceremony of Breaking the Stone pho-bar rDo-gcog by Georges de Roerich, Petersburg/Moskau 1992
INDO ASIA Politik, Kultur, Wirtschaft in Indien,
Südasien,Ostasien 32. Jahrgang 1990, Heft 4 ERFAHRUNGEN IN DER HIMALAYAREGION VON SPITI DER DÄMON IM STEIN Von Wolf Kahlen Der Berliner Avantgardekünstler und
Professor an der Technischen Universität Wolf Kahlen hat 1985 Tibetologen aufgefordert,
sich mit ihm auf die Suche nach den Spuren eines Leonardo da Vinci Tibets mit Namen
Thang-stong rGyalpo zu begeben. Dem ebenso genialen wie vielseitigen tibetischen
Künstlerkollegen (14./15. Jhd.) wird ein magisches Ritual zugeschrieben, das -
Jahrhunderte lang ausgeübt und dann verlorengegangen - von Kahlen in einem Ausländern
verbotenen Tal wiederentdeckt wurde. Neben dem Porträt des großen Thangstong rGyal-po
hat Kahlen für INDO ASIA einen Bericht über die Geheimnisse des Spititales und seiner
Klöster geschrieben. Wr waren auf der Suche nach Thang-stong
rGyal-po, dem Leonardo da Vinci Tibets. Seit 1985 haben wir den sagenhaften
Eisenbrückenbauer aus dem Himalaya als dem italienischen Meister verwandt erkannt. Das
ist eine Ansicht, die wir mit der 1989 verstorbenen Tibetologin Blanche Christine Olschak
teilten. Mehr meinem Instinkt folgend denn aus
wissenschaftlich fundierten Gründen glaubte ich, in Spiti, in einem der geheimsten Winkel
von Himachal Pradesh, Spuren TG's (wie wir ihn hier abgekürzt nennen wollen) zu finden
und zumindest den Staub der Spuren filmen zu können. Der König der weiten Ebenen Der Tibeter TG, "König der weiten
Ebenen", der weiten Ebenen des Bewußtseins wohlgemerkt, nicht der materiellen
Vorstellung von tibetischen Hochebenen, lebte - 124 Jahre lang - im 14. und 15.
Jahrhundert. Ständig auf Reisen, so schreibt im 16. Jahrhundert sein Biograph Lochen
Gyurme Dechen, war Thang-stong genial wie Leonardo. Die beiden großen Erbauer lebten
ungefähr zur gleichen Zeit. Genauer gesagt, wurde Leonardo einige Jahre später, aber
noch zu TG's Lebzeiten geboren in eine Welt, die anders war als die des Brückenbauers aus
dem Himalaya. Ihre Lebensdaten überschneiden sich zwar, was Tibeter aber nicht hindern
würde, Leonardo als mögliche Reinkarnation zu erkennen, denn es gibt ja Inkarnationen
und Emanationen einer Geistenergie von Menschen, die zur selben Zeit leben. Das muß man
sich so wie eine in Stücke zerschnittene Hologrammfolie vorstellen, deren Einzelteile,
wenn sie aktiviert werden, alle jeweils die ungeteilte, gesamte Information ausstrahlen
können, obwohl die Entität Hologramm selbst geteilt ist. Die Geistenergie ist also
gleichzeitig teilbar und unteilbar. Der Mahasiddha und Magier TG war - wie Leonardo
- Architekt, Maler, Bildhauer, Dichter und Komponist von heute noch gesungenen
Arbeitsliedern, der Gründer des tibetischen Al-ce-Lhamo-Theaters schlechthin,
Eisenkettenbrückenbauer zwischen Kashmir und Assam und Fährenkonstrukteur, Mediziner,
Philosoph und Schmied (höchster und niedrigster "Rang" in der tibetischen
Gesellschaft), Erfinder und Beherrscher eines geheimnisvollen Rituals. Um dieses Ritual zu entdecken und zu
ergründen, waren meine polnischen, amerikanischen und tibetischen Mitarbeiter und ich im
Sommer 1988 zu einer kleinen internationalen TG-Expedition aufgebrochen, die uns unter
anderem nach Spiti führen sollte. Bei diesem Teil der Expedition waren dabei: der Pole
Marek Kalmus, Kenner der tibetisch-buddhistischen lkonographie, als zweiter Kameramann
besonders an Ritualen interessiert, der Pole Waldemar Czechowski und der Tibeter Padma
Wangyal. Das Brechen des Steins Der Russe R. N. Roerich hatte vor mehr als 50
Jahren das TG zugeschriebene Ritual Pho-bar rdo-gcog, das Brechen des Steins, etwa zur
gleichen Zeit wie ein anderer Tibetologe, Prinz von Dänemark und Griechenland, im Gebiet
Lahul, dem indischen Die vier Akteure des Rituals Pho-Bar Rdo Gcog
mit dem Felsstein, der
zerbrochen wird. Grenzgebiet südlich von Zanskar und Ladakh,
letztmalig gesehen und dessen Inhalt und Texte wörtlich notiert. Seitdem soll es zwar
gelegentlich noch in Ladakh gesehen worden sein, aber im buddhistischen Paradies Bhutan
konnte es weder von Michael Aris noch von mir bis heute gefunden werden. Eine Kette von Zufällen, an die wir nicht
glauben, wollte es, daß Roerichs Erwähnung "einer Gruppe wandernder
Lamaschauspieler aus Spiti" mich natürlich den Kontakt zu "jemandem" in
Spiti suchen ließ: Die Tochter einer in Spanien lebenden
Schweizer Freundin, einer ehemals buddhistischen Nonne, kannte eine englische Nonne, die
seit Jahren in Lahul in einem klösterlichen Dreijahres-"Retreat" eine TG-Puja
für langes Leben praktizierte und die von TG-Einflüssen historischer Art in Spiti
gehört hatte. Ich konnte sie brieflich weder in Lahul noch zu Hause in England, noch
anderswo über Bekannte von Bekannten erreichen, aber ein vertrauter hochgebildeter
Tibeter in Keylong, Lahul, antwortete mir eines Tages. Er zeichnete mit "Tsering
Dorji". Auch Manohar Singh Gill, der 1962 Deputy
Commissioner von Lahul und Spiti war, wurde durch diesen Tsering Dorji, den wir nie
persönlich kennenlernten, außer durch eine rege Korrespondenz, fundiert in dieses Land
eingewiesen, das er in seinem Buch 1972 "The Himalayan Wonderland" nannte. Wir
hatten das gleiche Glück und zudem S. 26: oben links: Ritt durch die Landschaft des
Spititales. oben rechts: Banner des Sieges auf dem
Dach des KyeKlosters. unten links: Spiti-Tabo, Tanz in Trance und
Dolchstoß durch die
Wangen. unten rechts: Ritual des Brechens des Steins
im Spitital. S. 27: oben:
Herstellung der Torma, der heiligen Kuchen. unten: Tanz der Schwarzhüte. das Glück, daß wir auf einen essientiell an
Ritualen interessierten Beamten des Innenministeriums in Delhi gerieten, der uns erlaubte,
das für Fremde - ja selbst für Inder - schwer oder gar nicht zugängliche große
Spitital zu besuchen, um dort wissenschaftlich-künstlerisch zu arbeiten. Wir fanden das totgeglaubte Ritual, eine
Sensation für die Tibetologie, und konnten es erstmalig vollständig filmisch, akustisch
und fotografisch dokumentieren. Wir fanden dieses "Brechen des Steins" in einem
gewaltigen, von Steinpässen allseits umschlossenen Tal in der Region von Spiti,
einer urtümlichen erdgeschichtlichen Komposition von Steinen aller Art, jungen und alten
Felsen, Verwerfungen, Sandhängen, die von den Naturkräften der Schwerkraft und Reibung
zu exakten 45-Grad-Hängen formiert sind und in die eine Straße wie ein modernes Werk der
Konzeptkunst reliefartig einschneidet. Vom härtesten metallischen Fels bis zu den die
Lungen schwer belastenden feinsten Staubsteinchen - Steine über Steine, in all ihren
Seinszuständen. Unser 110minütiger Filmteil über das Ritual aus dem Zyklus eines
12stündigen Porträts TG's ist daher eine Hommage an Steine. Partner des Dalai Lama Die vom Buddhismus beherrschte Region von
Spiti ist noch immer ein für Touristen verbotenes Traumland voller Überraschungen,
während das überwiegend hindu istische Lahul für Reisende offen und somit mehr ein
Erlebnis "im Tageslicht" ist. Spiti, von Bergpässen umschlossen wie
Bhutan, ist seit Jahrhunderten zu einer Art Enklave geworden. Bis auf den heutigen Tag
sind alte, mythenorientierte Bon-Praktiken mit der reformierten Gelugpa-Tradition
verwachsen. Der alte Serkong Rimpoche. der seit seiner Kindheit in Lhasa Debattenpartner
Seiner Heiligkeit, des jetzigen Dalai Lama, gewesen ist, hatte zu seinen Lebzeiten noch
Mühe, in Spiti, dem Land, das er liebte und in dem er starb, blutige Opferrituale von
Tieren in symbolische Zeremonien zu verwandeln. Ja, frühe Tibetologen haben sich in
bestimmte Teile des "unzugänglichen Terrains Spitis mit dem außerordentlich
unfreundlichen Klima" - wie S. C. Vajpai 1987 in seinem Buch schreibt - nicht
vorgewagt, weil ihnen von Menschenopfern berichtet wurde. In Spiti, das lange mit dem
Schicksal von Ladakh verbunden war, haben die Nonos, eine Art Wesire, noch in nicht
allzuferner Vergangenheit auf der Festung Dankhar Häftlinge in dunkle Felsverließe
werfen lassen. Inthronisation des wiedergeborenen Serkong
Rimpoche Wir erlebten während der Dreharbeiten zu
unserem Dokumentarfilm im Kloster Tabo die Wiederauffindung und Inthronisation der
fünfjährigen Wiedergeburt des vor fünf Jahren verstorbenen Serkong Rimpoche. Am dritten
Festtag traten dort verschiedene Orakel auf, unter ihnen ein schwarzmagisches, das sich
einen Ritualdolch durch die Wangen stieß, ohne daß Blut vergossen wurde, und ein
weiß-magisches Orakel, von dem eine der Lokalgottheiten in Trance Besitz ergriff. Sie
prophezeite dem jungen Rimpoche und neuen spirituellen Herrscher von Spiti eine
interessante Zukunft. Nachdem wir diese Zeremonie aufgenommen
hatten, zogen wir vom Kloster aus in ein Seitental, um dort das von weltlichen,
verheirateten Lamas zelebrierte seltsame Ritual des Steinbrechens zu entdecken. Das Ritual
mag Vorläufer in der großen Zeit des Reformers des tibetischen Buddhismus und Gründers
der Gelbmützen-Sekte, Tsongkhapa, gehabt haben. Als Roerich das Tal besuchte, schrieb ihm der
damalige Lo-chen, der Chef der Magier, gekrönt mit der vielfarbigen magischen Haube, den
Text des Rituals auf, den wir bei uns führten, Als wir diesen Text den Manipas, wie die
wandernden Barden des Mittelalters hier auch heißen, vorlegten, kamen ihnen die Tränen.
Es war wortwörtlich der Text ihrer Väter und Großväter, von denen sie initiiert worden
waren und die ihnen die Kraft der Übertragung an ihre Söhne weitergegeben hatten. Wir hatten also wirklich die Nachfahren der
Gruppe gefunden, die Roerich begegnet war. Die Geschichte ihres Rituals ist die, die ihnen
der große russische Maler Roerich vor 50 Jahren erzählte: "Zur Zeit, als der große Seher TG sein
Kloster Cung Ri-bo-che errichtete, erschienen immer wieder dämonische Zeichen. Was immer
die Menschen während dieser Tage erbauten, zerstörten Dämonen in der Nacht. Erst
nachdem TG das Brechen des Steins zelebriert hatte, konnte das Kloster fertiggestellt
werden. Als er seine Eisenkettenbrücke am Berg Chu-bo-ri (über den Kyichufluß
südwestlich von Lhasa) bauen wollte, bewirkte der Dämon dBan-rgyal einen Wasseranstieg
und verhinderte so die Konstruktion der Brücke. Nachdem TG das Ritual hier zum zweiten
Mal durchführte, konnte die Brücke erstellt werden. In Lhasa verursachten der Dämon
Hala rta-brgyad und ein planetarischer Dämon (möglicherweise Rahula) eine Reihe von
Krankheiten, insbesondere der Eingeweide. Vergeblich zogen Ärzte ihre Medizin, Heiler
ihre Schützer zu Rate. Die Menschen starben beim Holzsammeln in den Bergen oder beim
Essen, beim Anziehen oder bei Vergnügungen. Der Ehrwürdige Herr Lhasas, der
rJe-Rin-po-che Tson-kha-pa, erklärte: Die Menschen Lhasas sterben aus. Wenn nicht
der große Mahasiddha TG aus dem Kloster Cung Ri-bo-che ein Mittel findet, kann uns keiner
mehr helfen. Er sandte Boten ins Kloster des
Brückenbauers mit der Nachricht: Mein Volk in Lhasa stirbt. Du bist der einzige,
der helfen kann. Komm bitte sofort. TG bedachte das Problem und sagte: Diesem
Befehl des Ehrwürdigen Herrn muß ich folgen. Er deutete mit dem Zeigefinger in den Himmel,
und es erschien ein mächtiger weißschwänziger Adler hoch oben in den Wolken. Der
Mahasiddha nahm die Form eines eisernen Atsara an (niemand konnte erklären, was das
ist), bestieg den Adler und wandte sich gen Lhasa. Der Ehrwürdige Tson-kha-pa sagte zu
seinen Türwächtern im Jokhang: Ich erwarte einen bedeutsamen Gast. Laßt ihn ohne
Verzug zu mir herauf. Als TG eintraf, erkannten ihn die Türsteher
nicht und sperrten ihn ein. Der Ehrwürdige Herr sah dies in einer seiner Visionen und
fragte: Ist mein Gast noch nicht hier?' Die Türsteher antworteten: Da ist kein
anderer Gast als ein Atsara, der auf einem mächtigen, weiß-schwänzigen Adler ritt. Ist
er das vielleicht?' Der Ehrwürdige rief: Warum habt ihr ihn nicht
gleich zu mir gebracht?' Er zog ein Schwert unter seinem Knie hervor und war bereit, die
Türsteher zu erschlagen. Sie ließen den Gast schnell zu ihm, und er sagte zu TG: Mein
Volk in Lhas, stirbt. Wenn du uns nicht helfen kannst, kann es keiner.' TG befragte den Ehrwürdigen: Wo sitzt
der Geist der Epidemie?' Der Ehrwürdige antwortete: Zur Zeit hat er sich unter dem
Trittstein des Portals versteckt und hat die Form eines Bauches angenommen.' Der
Mahasiddha bewirkte, daß der Dämon sich in den bräunlichen Stein, der die Form eines
Bauches hatte, verkroch. Dann ließ er den Stein auf den Marktplatz von Lhasa bringen. Aus
seinen fünf Fingern entsprangen fünf Flammen, eine nahm die Form Avalokitesvaras, des
Bodhisattvas der Barmherzigkeit, an und eine andere die Form Vajrapanis, des Trägers des
Vajra, des rituellen Diamantzepters, und agierte als Assistent. Eine dritte erschien in
der Gestalt einer Göttin mit melodischer Stimme. Als der Stein im Hof aufgestellt worden war,
versammelten sich die Alten Lhasas und meinten: ,Heute hat ein verrückter Mahasiddha
etwas Merkwürdiges vor.' Und hier, vor den versammelten Alten Lhasas,
die auf ihren Stöcken und Krücken ankamen, brach TG den Stein, der die Form eines
Bauches hatte, mit einem zweiten, der einem magischen Dolch glich. In unserem schlechten Zeitalter, in dem
wir leben. muß man einen größeren Stein benutzen, um Dämonen zu unterjochen und
teuflische Geister zu bannen. Wenn der Stein beim ersten Schlag zerbricht, bedeutet das
Dharmakaya, beim zweiten Schlag Sambhogakaya, beim dritten Nirmanakaya... Übersetzung aus dem Englischen nach:
Roerich, The Ceremony of Breaking the Stone" (s. Literaturhinweise). Das geschah in Lhasa vor über 500 Jahren. Das entdeckte Geheimnis 1988 fanden wir in Spiti das in Tibet und in
anderen Himalayaländern verlorene Ritual noch vor. Wir waren in der Nähe Tabos, des
uralten Klosterortes, der nur wenige Tagesreisen vom geheimnisumwobenen zerstörten
Königreich Guge und von Tsaparang, den "letzten Geheimnissen" Tibets, entfernt
liegt. Tacho ist ein Kloster, das bereits Tucci begeisterte, ein Juwel wie Alchi in
Ladakh, aber zeitlich vor Alchi gebaut. Die zahlreichen Skulpturen und Fresken von Tabo
sind besser erhalten als viele, die aus Guge und Tsaparang stammten. Die Schätze der
Klöster Kye, Tabo und Lhalun sind die wahren, noch staubigen Edelsteine in den
Schatzkammern des Himalaya und Vergleiche mit Tholing und Dunhuang wert. Schon 1076 fand
in Tabo, zur Zeit des großen Atisha, des Gründers der asketischen Kadampa (Vorläufer
der Gelbmützen-Sekte), ein internationales buddhistisches Konzil statt. Wegen seiner Lage
in der Nähe Chinas wurde die Grenzregion Spiti zur militärisch verbotenen Zone erklärt
(military restricted area). Forschungsprojekte mußten eingeschränkt oder aufgeschoben
werden. Daher sind Spitis kunst- und religionshistorisch bedeutsame Klöster noch so gut
wie unerschlossen. Wir waren nach Tucci seit Jahrzehnten wohl die
ersten, die z. B. das Kloster Lhalun in den Bergen nördlich des Spitiflusses etwas
genauer untersuchen konnten und in diese kleine Schatzkammer im wahrsten Sinn des Wortes
durch unser Filmen Licht werfen und nach alten Texten vergleichen durften, was noch
erhalten ist. Wenn die konservatorische Arbeit des "Archeological Survey of
India" noch behutsamer als in Tabo vorgehen wird, besteht die Hoffnung auf bedeutsame
Erkenntnisse. Das magische Opfer Im Pintal also fanden wir die
"Bu-chen." Aus den Bergen holten sie vor unseren Augen einen geeigneten großen
Stein und zelebrierten das Ritual für uns wie folgt: Nachdem zu Ehren TG's ein Altar mit speziellen
Tangkhas und zwei seiner Statuen errichtet, Opfer gebracht und ein Anrufungsgebet gesungen
und mit seiner Hilfe und Kraft der Ort für das Opfer gereinigt und bereitet ist (wie das
heute noch bei jeder tibetischen Al-ce-Lha-mo-Oper geschieht), wird der Stein mit einer
großbäuchigen menschlichen männlichen Figur beschrieben, ein zweiter oben: Spiti-Flußtal. unten: Spiti-Tabo
1988 - Spaßmacher und Zuschauer bei den Tänzen zur Inthronisation des 5jährigen
Serkong-Rimpoché. runder Flußstein mit mantrischer Energie
aufgeladen und der Dämon aufgefordert, den Stein sprich den Ort - zu verlassen. Er tut
das natürlich nicht so ohne weiteres. Daraufhin wird er gebeten, erhält Versprechungen,
ihm wird geopfert, und schließlich muß ihm gedroht werden. Das ernste magische Ritual wird dann, wie
immer bei tibetischen Cham-Tänzen, aufgelockert und durch einen Spaßmacher psychologisch
entspannt. Hier ist es ein aus der Ferne auftauchender Nomade im Fellmantel, der - sein ur-do,
die Schleuder, schwingend und knallend - vorgibt, ein Buddhist zu sein. Er opfert
Tsampa von einer Teigkugel, aber er ißt auch selber davon oder von dem gegebenen Opfer
und gibt in merkwürdigen und frechen Bemerkungen zu erkennen, daß er doch nur
schauspielert, den Glauben zu kennen. Es stellt sich heraus, daß er der Wilde König des
Nordens, Byan mirgod rGyal-po, ist, der tödliche Feind des Dharmakönigs Nor-bzan, den
der Lo-chen, der Hauptmagier des Rituals, in diesem Moment repräsentiert. Die historische
Figur Nor-bzan wie auch TG sind die anerkannt mächtigsten Zerstörer dämonischer
Kräfte. In dem Streit, der sich bei der Entdeckung der wahren Identität des Wilden
Königs des Nordens entspannt, wird er von Nor-bzan tödlich verwundet. Diese Geschichtsselektion ist höchst
interessant, weil auch im Kloster Tabo, das 500 Jahre älter als TG und sein Ritual ist,
die linke Freskenwand der Lebensgeschichte Nor-bzans gewidmet wurde. Wir konnten die
Tibetologin D. Klimburg-Salter, die die Fresken studiert, darauf hinweisen. Ist da ein
bisher ungeklärter Zusammenhang oder wieder ein "Zufall" im Spiel? Oder ist ein
Zuwachs an Inhalt im Lauf der Zeit nach TG entstanden? Der Dämon im Stein wird erneut vergeblich
zur Kooperation aufgefordert. Dann bereitet der Lochen einen demonstrativen Schwertertanz
vor, um dem Übel seine Überlegenheit zu zeigen. In diesem tranceartigen, schneller
werdenden Drehtanz steckt sich der Akteur schließlich die Säbelspitze in die Bauchfalten
- bzw. danach in die Achselhöhlen - und macht in alle vier Himmelsrichtungen sozusagen
einen Handstand auf den gefährlichen Spitzen, ohne sich zu verletzen. Als das den Dämon
immer noch nicht berührt, bannt der Lo-chen ihn mit Gebärden und Mudras und kennzeichnet
mit dem Phurbu, dem Zauberdolch, und dem Doppelvajra, dem Diamantzepter, die Stelle auf
dem Stein, an der er ihn zerbrechen wird. Letzte symbolische Versuche mit Pfeil und
Bogen und weitere Opfer, die schwarzen Punkte auf dem nackten Oberkörper des zweiten
Akteurs, die wohl die Krankheiten (vielleicht Pest?) symbolisieren, selbst zu heilen,
mißlingen offensichtlich, denn der Kranke gerät in eine Art Trance, da er unter dem
Fellmantel vor dem Stein den Rauch von Weihrauchstäbchen einatmet. Der Opferort wird noch
einmal mantrisch bezeichnet, ein letztes Getreideopfer in alle Weltachsen gerichtet, dann
segenbringendes Getreide in alle vier Himmelsrichtungen gestreut - der Initiierte sinkt
rücklings auf den Opferplatz; der gewaltige Stein wird auf seinen Oberkörper gelegt, und
der Lo-chen zerschmettert ihn mit dem magisch aufgeladenen runden Flußstein. Der Fels bricht beim ersten Schlag. Das ist
das beste Omen; das Opfer ist gelungen, der Ort befreit, der Zustand des Dharmakayas, des
reinen Gesetzes, ist erreicht. 1988 in Spiti Zur gleichen Zeit empfängt eine Solaranlage
auf der höchsten Dachterrasse des Klosters Kye, eingerichtet von einem jungen,
dynamischen Abt, dem klerikalen Herren Spitis, die Sonnenenergie für den Tempel darunter,
der elektrisch beleuchtet wird. Das ist für den Buddhisten kein Widerspruch. Literaturhinweise S. C. Bajpai, Lahul-Spiti, A Forbidden Land in
the Himalayas, Delhi 1987. Pedro Carrasco, Land and Polity in Tibet,
Seattle 1959 A. H. Francke, Antiquities of India Tibet, New
Delhi 1926. Gazetteer of India: Himachal Pradesh. Lahul and
Spiti, Delhi. M. S. Gill, Himalayan Wonderland, New Delhi
1972. Wolf Kahlen, Spiti (erster Bildband über
Spiti), noch unveröffentlicht. D. KIimburg Salter, Notes on the Chronology of
Ta-pho 'Du Khan, ISMEO, Vol 35, No. 1-3, Rom 1985; Reformation and Renaissance: A Study of
Indo-Tibetan Monasteries in the 11th Century, Rom 1987. Georges de Roerich, The Ceremony of Breaking
the Stone, Journal of Urusvati Journal, Vol. II, 1932. G. Tucci, I Templi del Tibet occidentale e il
loro simbolismo artistico, Roma 1935.
Photos in: Tibet-Initiative-Deutschland: Tibet-Zerstörung einer Hochkultur, Photowanderausstellung, Katalog, Hamburg 1992 Schädel mit Schwertern und Flammen, Kye-Monastery
in: Mandala, Mechernich, Nr. 2 / 1995 in: Living, Braunschweig, 1995
© Thang-stong-Gyal-po Archiv Berlin |