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songs
Tsa-Tsas, die
Erdgedrückten Tibetische und
mongolische Miniaturreliefs in Ton Tsa-Tsa,
Tsha-tsha, satsa-tsha, tza-tza oder sa-tstza heißen daumennagelkleine bis
handtellergroße Reliefs in Ton aus Tibet und der Mongolei und aus anderen vom tibetischen
Buddhismus beeinflußten Ländern des Himalayaraumes wie Sikkim, Bhutan, Nepal oder Spiti.
In über zweitausendfünfhundert Kilometer west-östlicher und ebenso viel nord-südlicher
Ausdehnung sind sie im tibetischen Hochland von Staub- und Steinwüsten Westtibets bis zu
den nassen Waldschluchten des östlichen Khoma und von der nordöstlichen Provinz Hintii
Aimeag der Mongolei hinunter nach China und bis tief nach Indien verbreitet. Es gibt sie
zu Hunderten oder Tausenden, ihre große Zahl ist ein Teil ihrer Funktion. Nur der
buddhistische Gläubige erkennt in ihnen den hohen religiösen Wert. Die Tibetologen und
Mongolisten sind zur Zeit noch mit anderem beschäftigt, zu vieles gibt es noch zu
erforschen, das einmaliger, unikater, wertvoller erscheint. Tsa-Tsas
scheinen Massenartikel zu sein. Für den Tibeter jedoch sind sie mit Segen und Kraft
auratisch aufgeladene ,erdgedrückte' Götter und Göttinen einer eigentlich gottlosen
buddhistischen Philosophie. Sie stammen aus Bronzemodeln, die, empfinde ich als Künstler,
oft genauso hervorragende Kunst sind wie die vollplastischen Bronzestatuen, von gleicher
Intensität und gleichem Stil geprägt, da en miniature, manchmal wesentlich schwieriger
herzustellen gewesen sind als ihre großen Schwestern. Nur letztere kann man einmaliger
besitzen, und sie sind unvergänglicher. Das macht sie begehrter. Tsa-Tsas
sind im Prinzip auf Vergänglichkeit angelegt, aber mehr als bloße Symbole der
Nichtdauer. Sie materialisieren eine der Maxime des Buddhismus: Denke stets daran, daß
Dein kostbarer menschlicher Körper Dir nur auf Zeit gegeben ist und lebe im Augenblick in
voller Wahrnehmung Deiner und anderer Lebenschancen zur Befreiung aus dem samsarischen
Kreislauf der karmisch bedingten Wiedergeburten. Die
Vielzahl der Tsa-Tsa-Darstellungen als Relief umfaßt das gesamte Pantheon aller
Erscheinungsformen der Alleinen Kraft, der göttlichen' Urenergie, die aufgeteilt
wird in Splitteraspekte, weil der normale Gläubige sie in ihrer Vieldimensioniertheit
nicht erfassen' kann. Darum
gibt es, von Meditierenden in den 2500 Jahren Buddhismus immer wieder neu visionär
gesehene und dann mit Namen belegte Abbilder einzelner Teilaspekte des Göttlichen, die
natürlich omnipotent sind, also gütig und zornig zugleich, männlich und weiblich
zugleich usw.: zum Beispiel das Bild des ,unendliches Mitgefühl'-Ausübenden
(Avalokitesvara/Chenrezig) mit den tausend Armen und Augen in den Handflächen, den
zornvollen Schützer der Relegion, des Dharma, (Dharmapala: Mahakala/Gönpö), den
Mutteraspekt in der (weißen und grünen) Tara/Grolma oder den Schlangenkönig
(Nagaraja/sKlu-rGyal-po). Sie spiegeln die möglichen spektralen Energieformen letztlich
in der Erkenntnis, daß alle zusammen genommen Alles und gleichzeitig Null sind, besser
gesagt, die Leere, aus der alles wird und in die alles zurückkehrt. Also jede
Materialisation oder Fleischwerdung ist nur eine Episode aller Spektralfarben und
Farbübergänge des Lichts. Das muß man schon wissen, wenn man Kultobjekte wie Tsa-Tsas
aus tibetischer Sicht sehen will. Darstellungen
von männlichen Gottheiten in Vereinigung mit ihren weiblichen tantrischen Partnerinnen
sind in dieser Skala dann die höchsten Manifestationen der Aufhebung der vermeintlichen
Gegensätze in dieser Welt, die uns nur gegeben' sind, damit wir uns, vergleichend,
überhaupt orientieren können. Die Umarmungen heben nicht nur Männlich und Weiblich auf,
sind nicht nur Yin und Yang, sondern sind die Nullsituation', der Moment der Leere
an sich, die höchste Stufe der Erkenntnis, die Einsicht, in das, was Himmel und
Erde zusammenhält'. Die
Tsa-Tsas entstehen aus Ton oder Lehm (im Osten Tibets), mit mehr oder weniger Sand und
pflanzlichen Faserstoffen (im Westen) vermischt, der in die butterfettigen Modeln (Tsa-Tsa
Köphor/satstza'i-brkos-phor) gedrückt wird (für Tibeter ist Butter bekanntlich ein
Vielzweckprodukt. Sie gehört ebenso in den Tee wie als Hautschutz mit Ruß vermischt auf
den Körper und in die Haare oder brennt in den Opferlampen der Tempel). Sie lösen sich
nach dem Antrocknen im richtigen Augenblick, bevor die Schrumpfung des Tons in der heißen
Sommersonne den Abdruck in den Falten der Form zum Sprengen bringt, mit einem Schlag auf
den Holz- oder Bronzestiel aus der Form. Der
Ton enthält im Idealfall die Verbrennungsasche eines gestorbenen verehrten Abtes,
Mönches oder Rinpoche (Tulku). Das Herstellen selbst ist ein ritueller Akt, den nur
ausgesuchte, in Initiationen vorbereitete Mönche ausüben dürfen. In die Rückseite
werden manchmal noch gesegnete Reis- oder Getreidekörner eingedrückt. Besonders
wertvolle Tsa-Tsas werden, nach meinen Recherchen spätestens seit dem 13. Jahrhundert,
bemalt oder vergoldet. Meist ungebrannt, werden sie dann von den Klöstern den Pilgern,
falls sie sie erfragen, mitgegeben. Hat der Fragende einen Lama konsultiert, erhält er
vielleicht ein spezielles Tsa-Tsa seiner persönlichen Schutzgottheit (yidam), die er dann
in sein stets am Körper getragenes Amulettkästchen (G'au) aus Silber oder Kupfer füllt.
Oder er nimmt sie mit nach Hause und stellt sie auf Wegen ritueller Umwandlungen
(sKor-lam), die er benutzt, in Felsnischen oder Baumlöchern ab, oder auf den Hausaltar
oder in die Nähe seiner Zelte an gefährliche oder glückbringende Orte. Oder er opfert
dem Kloster eine große Zahl, die dann ein Stufenmonument (Stupa/Chörten) füllen
können. Da
sie meist nur luftgetrocknet sind, vergehen, zerfallen, zerbrechen sie, lösen sich
irgendwann auf, das braucht lange im staubtrockenen Hochwüstenklima über mindestens 3000
Meter Höhe. So spiegeln sie die Auflösung aller Materie und eine zweite buddhistische
Einstellung, Loslassen von aller Anhaftung an alles Materielle. Der für mich schönste
Ausdruck dieses Bewußtseins der Vergänglichkeit, das von den Tibetern keineswegs negativ
empfunden wird, sondern als Chance der Fortsetzung der meist nicht erreichten karmischen
Schuldabarbeitung und einer möglichen Erleuchtung in diesem Leben, ist eine Praxis aus
der Provinz Khams, die verloren zu sein scheint. Ich kenne nur ein einziges altes Photo
und Berichte: Ein
Mönch sitzt am Fluß und stempelt' Tsa-Tsas, eine ganze Platte voll verschiedener,
statt in Ton, in das Wasser, erzeugt Wassergedrückte' würde ich sagen. Noch
fließender kann Werden und Vergehen kaum sein, symbolisiert werden' sagen wir im
Westen. Für den Tibeter ist das aber kein symbolischer Akt, sondern simultane
Wirklichkeit. Im Augenblick der Geburt des Tsa-Tsa liegt auch sein Tod, so wie dem
menschlichen Tod die Wiedergeburt folgt. Und der immer andere, niemals gleiche Fluß des
Lebens, ein schönes Wort, oft gesagt, trägt die Bestandteile seiner selbst und der
zeitweiligen Form weiter, bis sie sich wieder zusammenfügen zu einer neuen materiell
erscheinenden Form. Überzeugt
von dieser Methode habe ich 1994 in einer Einzelausstellung in der Pekinger Galerie Zhao
Yao neun Wörter des befreundeten exilchinesischen Schriftstellers Duo Duo in das Land,
das er nicht mehr betreten darf, zurückgebracht. Habe sie dann in Holz geschnitten und,
mit der Hohlform, der Stempelseite nach unten, auf das Wasser eines Flusses gelegt, sie
dann treiben, gehen, vergehen lassen. Das Gewicht des Holzes drückt, solange sie
schwimmen, nicht aufgenommen werden, das Wasser unsichtbar hoch in die Wortsilben im Holz,
die Rillen der Form, höher als der Wasserspiegel steht, und formt auf Zeit einen Gedanken
in das Wasserelement. Eine
besondere Form von Tsa-Tsas sind die kleinen vollplastischen Tonskulpturen
(jin-sku'i-spar) von erleuchteten oder historischen Persönlichkeiten Tibets und der
Mongolei wie Tibets großem Dichter und Yogi Milarepa aus dem 11. Jahrhundert oder ein
Abdruck der Zahnreliquie des Reformators Tsonkhapa aus dem 14. Jahrhundert und die über
handtellergroßen, kostbar in Metall gefaßten Tragaltäre'. Die massiven Skulpturen
enthalten im Inneren, auch aus praktischen Gründen, die den Trockenprozeß betreffen,
einen Hohlraum, in den ein Holzstäbchen gesteckt wird. Es repräsentiert' den
Welten- oder Lebensbaum. Diese Achse der Welt, die jeder in sich selbst trägt, ist in
Höhe der Stirn, des Mundes und der Kehle mit den Keimsilben Om, Ah, Hum beschriftet und
umwickelt mit reliquiaren Stoffstreifen oder handgezeichneten oder holzgedruckten Bildern
der Götter- und Heiligenwelt'. Tsa-Tsas
sind Kunstwerke, die vergehen. Materialistisch, wie wir sind, erweckt das in uns auch den
Schutzreflex, der ja nicht grundsätzlich falsch ist, aber doch einer anderen Weltsicht
verpflichtet ist. Reisende sollten sie daher auf keinen Fall, nur, wenn sie ihnen von
Lamas gegeben werden oder dort erworben werden, mitnehmen, denn sie erfüllen die
Funktionen des Schutzes, der Segnung, der Verpflichtungen und des Dankes, laden Orte auf
und bedeuten das Glück und die Gesundheit der Opfernden. Die
große Zahl der erstmalig ausgestellten Tsa-Tsas in der Ruine der Künste Berlin im
Februar - April 1996 würdigte beides, den Erhalt des Wissens und die
philosophisch-religiöse Bedeutung der Objekte. Sie zeigte Tsa-Tsas von der Seidenstraße
aus noch undatierbarer Zeit bis zu den letzten genuinen aus der Zeit vor der Zerstörung
Tibets oder der Selbstzerstörung des Buddhismus in der Mongolei der 30er Jahre. Tsa-Tsas
aus Tibet und der Mongolei verdienen Beachtung. © Thang-stong-Gyal-po Archiv Berlin |