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Photos in: The Ceremony of Breaking the Stone pho-bar rDo-gcog by Georges de Roerich, Petersburg/Moskau 1992

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Ham, Peter von: München, 1994                         in: Anthropology of Tibet and the Himalaya, Zürich., 1993

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in: Indo Asia, Stuttgart, IV. Q. 1990

 

Der Dämon im Stein

 

 

Wiederentdeckung eines mittelalterlichen Rituals im verborgenen Spiti

 

 

von Prof. W. Kahlen, Berlin

 

Wir waren auf der Suche nach Thang-stong rGyalpo, einem Leonardo da Vinci Tibets, als den wir ihn seit 1985 erkannt hatten. Das ist eine Sicht, die die Tibetologin Blanche Christine Olschak seitdem mit uns teilt.

 

Mehr aus einem "Gefühl im Bauch" heraus denn aus wissenschaftlich fundierten Gründen glaubte ich in Spiti im geheimsten Winkel Nordost-Himachal Pradeshs, Spuren Thang-stong rGyalpo's zu finden und zumindest den "Staub der Spuren" filmen zu können.

 

 

JT möchte in seiner Reihe zur tibetischen Kultur und Geschichte, Tibetkennern, -interessierten, -reisenden und -wissenschaftlern ein Forum bieten, wo sie zu Wort kommen und ihre Beiträge veröffentlichen können.

 

Prof. Wolf Kahlen, Leiter der Abteilung Space Design in Architecture, der Technischen Universität Berlin, hat sich mit Thang-stong rGyalpo beschäftigt und seine Spuren in Lahul-Spiti untersucht. Dankenswerterweise hat er uns seinen Bericht über das tibetische Universalgenie zur Verfügung gestellt.

 

Das hier beschriebene Ritual war auch im alten Tibet bekannt und wurde bis zum Einmarsch der Chinesen in Tibet jedes Jahr anlässlich des Schog-tön im Kloster Drepung und anschliessend im Norbulingkha von den Mönchen aus Cung-Ribo-che vorgeführt.

 

Anmerkung der Redaktion

Der Tibeter Thang-stong rGyalpo, König der weiten Ebenen, wie sein Name verheisst, der weiten Ebenen des Bewusstseins wohlgemerkt, nicht der materialen Vorstellung tibetischer Hochebenen, lebte im 14. und 15. Jahrhundert, 124 Jahre lang, permanent nomadisierend auf Reisen tätig, wie sein Biograph Lochen Gyurme Dechen im 16. Jahrhundert erzählt, und war genial wie Leonardo. Jener war sogar sein Fast-Zeitgenosse. Genauer gesagt, kam Leonardo später, aber noch zu Thang-stong rGyalpo’s

 

Thang-stong rGyalpo Statue, Bronze, mit Eisenkette (Wolf Kahlen)

 

Lebzeiten in diese aber eine andere Welt; ihre Lebensdaten überschneiden sich ein wenig, was Tibeter nicht hindern würde, Leonardo, rein hypothetisch von mir hier erfunden, als mögliche Inkarnation zu erkennen; denn es gibt ja durchaus zeitparallele oder multiple Inkarnationen oder Emanationen derselben Geistenergie. Das kann man sich so vorstellen wie eine in Stücke zerschnittene Hologrammfolie, deren Einzelteile alle jeweils, wenn sie aktiviert werden, die ungeteilte gesamte Information ausstrahlen können, obwohl die Entität Hologramm selbst geteilt ist. Die Geistenergie ist also gleichzeitig teilbar und unteilbar.

 

Der Mahasiddha und Magier Thang-stong rGyalpo war wie etwa Leonardo Architekt, Maler, Bildhauer, Dichter, Komponist von heute noch gepflegten Arbeitsliedern, der Gründer des tibetischen Al-ce LhamoTheaters schlechthin, Eisenkettenbrückenbauer zwischen Kashmir und Assam und Fährenkonstrukteur, Mediziner, Philosoph und Schmied (höchster und niedrigster "Rang" in der tibetischen Gesellschaft) und Ritualbegründer.

 

Um den letzten Punkt zu ergründen, waren meine polnischen, amerikanischen und tibetischen Mitarbeiter aufgebrochen zu einer kleinen internationalen Thang-stong rGyalpo-Expedition im Sommer 1988, die uns unter anderem nach Spiti führen sollte. Bei diesem Teil der Expedition waren dabei der Pole Marek Kalmus, Kenner der tibetisch-buddhistischen lkonographie, als zweiter Kameramann, besonders an Ritualen interessiert, der Pole Waldemar Czechowski und der Tibeter Padma Wangyal.

 

 

Der Russe R. N. Roerich hatte vor mehr als 50 Jahren das Thang-stong rGyalpo zugeschriebene Ritual Pho-bar rdo-gcog, das Brechen des Steins, zu etwa gleicher Zeit wie ein anderer Tibetologe, Prinz von Dänemark und Griechenland, im Gebiet Lahul, dem indischen Grenzgebiet südlich von Zanskar und Ladakh, letztmalig gesehen und seinen Inhalt und seine Texte wortwörtlich notiert. Seitdem soll es zwar gelegentlich aber verschwindend selten noch in Ladakh gesehen worden sein, bis es auch heute im buddhistischen Paradies Bhutan weder von Michael Aris noch von mir mehr gefunden werden konnte.

 

Eine Kette von Zufällen, an die wir nicht glauben, wollte es, dass die Erwähnung Roerichs "eine(r) Gruppe wandernder Lamaschauspieler aus Spiti" mich natürlich den Kontakt zu "jemanden" in Spiti suchen liess:

 

Die Tochter eines Schweizers, eine in Spanien lebende Freundin, ehemals eine buddhistische Nonne, kannte eine englische Nonne, die seit Jahren in Lahul in einem klösterlichen Dreijahresretreat eine Thang-stong rGyalpo-Puja für langes Leben praktizierte und die von Thang-stong rGyalpo-Einflüssen historischer Art in Spiti gehört hatte. Ich konnte sie brieflich weder in Lahul noch zu Hause in England, noch anderswo über Bekannte von Bekannten ereichen, aber ein vertrauter hochgebildeter Tibeter in Keylong, Lahul, war beauftragt, ihre Post zu öffnen und antwortete eines Tages.

 

Auch Manohar Singh Gill, der 1962 Deputy Commissioner von Lahul und Spiti war, war durch diesen Tsering Dorje, den wir, obwohl später mit ihm verabredet, nie ausser durch unsere rege Korrespondenz kennengelernt haben, fundiert eingewiesen worden in dieses Land, das er in seinem Buch 1972 The Himalayn Wonderland nannte. Wir hatten das gleiche Glück, und das Glück, das wir auf einen essentiell an Ritualen interessierten Beamten des lnnenministeriums in Delhi gerieten, der uns erlaubte, das für Fremde und selbst Inder schwer oder gar nicht zugängliche grosse Spitital zu besuchen, um dort wissenschaftlich-künstlerisch zu arbeiten.

 

Wir fanden das totgeglaubte Ritual - eine Sensation für die Tibetologie - und konnten es erstmalig vollständig filmisch, akustisch und fotografisch dokumentieren. Wir fanden dieses Brechen des Steins in einem gewaltigen, von Steinpässen allseits umschlossen Tal Spiti, einer urtümlichen erdgeschichtlichen Komposition von Steinen aller Art, jungen und alten Felsen, Verwerfungen, Sandhängen, die von den Naturkräften Schwerkraft und Reibung zu exakten 45-Grad-Hängen formiert sind, in die die Strasse wie ein modernes konzeptuelles Kunstwerk reliefartig einschneidet. Vom härtesten metallischen Fels bis zu den die Lungen schwer belastenden feinsten Staubsteinchen, Steine über Steine, in all ihren Seinszuständen. Der geradezu ideale Ort für ein Ritual des Brechens des Steins. Unser 80-minütiger Filmteil über das Ritual aus dem Zyklus eines 12-stündigen Porträts Thang-stong rGyalpo's ist daher eine Hommage an Steine.

 

Das buddhistisch dominierte Spiti ist wirklich noch ein verbotenes "Traumland" voller Überraschungen, während das überwiegend "hinduistische Lahul für Reisende offen und somit mehr ein Erlebnis im Tageslicht" ist.

 

Spiti von Bergpässen umschlossen wie Bhutan, ist, seit Jahrhunderten zwar Fremden tributpflichtig, aber doch relativ unangetastet, zu einer Art Enklave geworden. Tief sind alte mythenorientierte Bönpraktiken mit den reformierten Gelugtraditionen verwachsen bis auf den heutigen Tag. Der alte seit Lhasa lebenslange Dialektik-Disputpartner Seiner Heiligkeit, des jetzigen Dalai Lama, Serkong Rinpoche, hatte vor überschaubarer Zeit noch Mühe, in Spiti, dem Land, das er liebte und in dem er auch starb, blutige Opferrituale von Tieren in symbolische zu verwandeln. Ja, frühe Tibetologen haben sich in bestimmte Teile des "unzugänglichen Terrains Spitis mit dem ausserordentlich unfreundlichen Klima", wie S. C. Bajpai 1987 in seinem Buch schreibt, nicht vorgewagt, weil ihnen von Menschenopfern berichtet wurde.

 

Und die Nonos, eine Art Wesire Spitis, das lange Zeit mit dem Schicksal Ladakhs verbunden war, haben noch in naher Vergangenheit auf der Bergfestung Dankhar Häftlinge in trostlose, tiefe Felsverliesse hinabgelassen. Und Tatsachenberichte von "Rolance", auferstehenden Leichnamen, die, weil nicht ordnungsgemäss rituell bestattet, als Dämone durchs Land ziehen wollen, haben Spiti im alten Licht mittelalterlicher Befangenheit belassen. Daneben aber entsteht ein neues Spiti, eine Symbiose mit der gleichen integrativen Kraft, die der tibetische Buddhismus in seiner Geschichte immer wieder bewiesen hat.

 

Wir erlebten während unseres Aufenthaltes, aktiv beteiligt als Dokumentaristen, die Suche, Wiederauffindung und Inthronisation der 5-jährigen Wiedergeburt des vor 5 Jahren gestorbenen Serkong Rinpoches im 1000-jährigen Kloster Tabo. Am dritten Festtag traten dort drei Orakel auf, unter ihnen ein, sagen wir einmal verkürzt hier, schwarzmagisches, das sich einen Ritualdolch unblutig durch die Backe stiess und ein weissmagisches, von einer der Lokalgottheiten in Trance in Besitz genommen, der dem jungen Rinpoche und neuen spirituellen Herren Spitis nun die Zukunft prognostiziert.

 

In diesem Ambiente wunderte es uns nicht, die Bu-chen, die weltlichen verheirateten

Lamakteure des seltsamen Rituals des Steinbrechens in einem Seitental zu finden. Das Ritual geht auf die Zeit des Thang-stong rGyalpo kongenialen Tsongkapha zurück. Der damalige Lo-chen, der Leiter der Magiere, bekrönt mit der vielbarbigen Haube der Magiere, schrieb Roerich den Text des Rituals auf, den wir bei uns führten. Als wir diesen Text den Manipas, wie die wandernden Barden des Mittelalters auch heissen, nach unserer Ritualperformance vorlegten, kamen ihnen die Tränen, Es war wortwörtlich der Text ihrer Väter und Grossväter, die sie imitiert hatten und die ihnen die Kraft der Übertragung an ihre Söhne gegeben hatten.

 

Wir hatten also wirklich die Nachfahren der Roerich begegneten Truppe gefunden.

 

Die Geschichte ihres Rituals ist die, so wie sie ein Lo-chen vor 50 Jahren Roerich erzählte: "Zur Zeit, als der grosse Seher Thang-stong rGyalpo sein Kloster Cung Ribo-che errichtete, erschienen immer wieder dämonische Zeichen. Was immer die Menschen während des Tages erbauten, zerstörten Dämonen in der Nacht. Erst nachdem Thang-stong rGyalpo das Brechen des Steines zelebriert hatte, konnte das Kloster fertiggestellt werden. Als er seine Eisenkettenbrücke am Berg Chu-Bo-ri (über den Kyichu-Fluss südwestlich von Lhasa) bauen wollte, bewirkte der Dämon dBanrgyal einen Wasseranstieg und verhinderte so die Konstruktion der Brücke. Nachdem Thang-stong rGyalpo das Ritual hier zum zweiten Mal durchführte, konnte die Brücke erstellt werden. In Lhasa verursachten der Dämon Hala rta-brgyad und ein planetarischer Dämon (möglicherweise Rahula) eine Reihe von Krankheiten, insbesondere der Eingeweide. Doktoren zogen ihre Medizin, Heiler ihre Schützer vergeblich zu Rate. Die Menschen starben beim Holzsammeln in den Bergen oder beim Essen, beim Anziehen oder bei Vergnügungen. Der Ehrwürdige Herr Lhasas, der rJe-Rin-po-che Tso-kha-pa, erklärte: Die Menschen Lhasas sterben aus. Wenn nicht der grosse Mahasiddha Thang-stong rGyalpo aus dem Kloster Cung Ri-bo-che aus ein Mittel findet, kann uns keiner mehr helfen.

 

Er sandte also Boten aus mit der Nachricht: Mein Volk in Lhasa stirbt. Du bist der einzige, der helfen kann. Komm bitte sofort. Thang-stong rGyalpo bedachte des Problems und sagte: "Diesem Befehl des Ehrwürdigen Herren muss ich folgen."

 

Er deutete mit dem Zeigefinger in den Himmel und es erschien ein mächtiger weiss-schwänziger Adler hoch oben in den Wolken. Der Mahasiddha nahm die Form eines "eisernen" Atsara an - niemand konnte erklären, was das ist - (Atsara stammt vermutlich vom Sanskrit-Wort Acharya, was Gelehrte bedeuteten könnte. Anm. Red.), bestieg den Adler und wandte sich gen Lhasa. Der Ehrwürdige Tson-Kha-pa gab seinen Türwächtern im Jo-Khang den Auftrag: Ich erwarte einen bedeutsamen Gast. Lasst ihn ohne Verzug zu mir hinauf.

 

Als Thang-stong rGyalpo eintraf, erkannten ihn die Türsteher nicht und sperrten ihn ein. Der Ehrwürdige Herr sah dies in seiner Vorstellung und fragte: Ist mein Gast noch nicht hier?

 

Die Türsteher antworteten: Da ist kein anderer Gast als ein Atsara, der auf einem mächtigen, weissschwänzigen Adler ritt. Ist er das vielleicht?

 

Der Ehrwürdige rief: Warum habt Ihr ihn nicht gleich zu mir gebracht? Er zog ein Schwert unter seinem Knie hervor und war bereit, die Türsteher zu erschlagen. Sie liessen den Gast schnell zu ihm und er sagte zu Thang-stong rGyalpo: Mein Volk in Lhasa stirbt zur Zeit. Wenn Du uns nicht helfen kannst, kann es keiner.

 

Thang-stong rGyalpo befragte den Ehrwürdigen: Wo sitzt der Geist der Epidemie? Der Ehrwürdige antwortete: Zur Zeit hat er sich unter dem Trittstein des Portals versteckt und er hat die Form eines Bauches angenommen. Der Mahasiddha bewirkte, dass der Dämon sich in den bräunlichen Stein, der die Form eines Bauches hatte, verkroch und liess den Stein auf dem Marktplatz von Lhasa bringen. Aus seinen fünf Fingern entsprangen fünf Flammen, eine in der Form Avalokitesvaras als Lehrer der Doktrin, eine andere nahm die Form Vajrapanis an und agierte als Assistent, eine dritte erschien in der Gestalt einer Göttin mit melodischer Stimme.

 

Als der Stein im Hof aufgestellt war, versammelten sich die Alten Lhasas und meinten: Heute will ein verrückter Mahasiddha etwas Merkwürdiges tun. Und hier vor den versammelten Älteren Lhasas, die auf ihren Stöcken und Krücken ankamen, brach Thang-stong rGyalpo den Stein, der die Form eines Bauches hatte mit einem zweiten, der einem magischen Dolch glich.

 

In unserem schlechten Zeitalter, in dem wir leben, muss man einen grösseren Stein benutzen, um Dämonen zu unterjochen und teufliche Geister zu bannen. Wenn der Stein beim ersten Schlag zerbricht, bedeutet das Dharmakaya, beim zweiten Schlag Sambhogkaya, bei dritten Nirmanakaya ..." (Übersetzung des Textes aus dem Englischen aus Roerich, the Ceremony of Breakting the Stone, s. u.) Das geschah in Lhasa vor über 500 Jahren.

 

1988 in Spiti finden wir das in Tibet und anderen Himalayaländern verlorene Ritual noch lebendig. Wir sind in der Nähe Tabos, des uralten Klosterortes, nur wenige Tagereisen über Pässe vom geheimnisumwobenen, zerstörten Königreich Guge und von Tsaparang, den "letzten Geheimnissen" Tibets, wie manche meinen, entfernt. Dabei ist Tabo ein Kloster, das schon Tucci begeisterte, ein Juwel wie Alchi in Ladakh (zeitlich vor Alchi gebaut) und in seinen zahlreichen Skulpturen und Fresken und auch in deren Erhaltungszustand herausragender als Guge und Tsaparang heute. Tabo, Lhalun und Schätze des Klosters Kye sind die wahren, noch staubigen Edelsteine in den Schatzkammern des Himalaya und Vergleiche mit Tholing und Dunhuang wert. Schon 1076 fand in Tabo, als der grosse Atischa dort lebte, ein internationales buddhistisches Konzil statt. Allein die politische Verbotenheit der wegen der Grenznähe zu China "restricted area" hat wieder einmal den Weg der Forschung eingeengt und Bedeutungsmassstäbe verschoben. Spitis kunst- und religionshistorisch bedeutsame Klöster sind noch so gut wie unerschlossen. Wir waren nach Tucci seit Jahrzehnten wohl die ersten, die z. B. das Kloster Lhalun in den Bergen nördlich des Spitiflusses genauer, wenn auch nur für wenige Stunden, untersuchen konnten und in diese kleine Schatzkammer im wahrsten Sinne des Wortes für unser Filmen Licht werden und vergleichen durften, was noch erhalten ist. Wenn die konservatorische Arbeit des Archeological Survey of India noch behutsamer als in Tabo vorgehen wird, besteht Hoffnung auf bedeutsame Erkenntnisse.

 

Im Pin-Tal also fanden wir die Bu-chen. Aus den Bergen holten sie vor unseren Augen einen geeigneten grossen Stein und zelebrierten das Ritual für uns wie folgt (in vereinfachter Beschreibung):

 

Nachdem zu Ehren Thang-stong rGyalpos ein Altar mit speziellen Tangkhas und zwei seiner Statuen errichtet, Opfer gebracht und ein Anrufungsgebet gesungen und mit seiner Hilfe und Kraft der Ort für das Opfer gereinigt und bereit war (wie das heute noch bei jeder tibetischen Al-ce Lhamo Oper geschieht), wurde der Stein mit einer grossbäuchigen menschlichen männlichen Figur beschrieben, ein zweiter runder Flusstein mit mantrischer Energie aufgeladen und der Dämon aufgefordert, den Stein, sprich den Ort, zu verlassen. Er tut das natürlich nicht so ohne weiteres. Er wird daraufhin gebeten, ihm wird manches versprochen, es wird ihm geopfert und schliesslich muss ihm gedroht werden. Das magische Ritual in seinem Ernst wird dann, wie immer bei tibetische Cham-tänzen, aufgelockert und psychologisch entspannt durch einen Spassmacher. Hier ist es ein aus der Ferne auftauchender Nomade im Fellmantel, der sein ur-do, die Schleuder schwingend und knallend, vorgibt ein Buddhist zu sein. Er opfert Tsampa von einer Teigkugel, aber isst auch selber davon oder von dem gegebenden Opfer und gibt in merkwürdigen und frechen Bemerkungen zu erkennen, dass er doch nur schauspielert, den Glauben zu kennen. Es stellt sich heraus, dass er der Wilde König des Nordens, Byan mi rgod rGyal-po, ist, der tödliche Feind des Dharmakönigs Nor-bzan, den der Lo-chen, der Hauptmagier des Rituals in diesem Moment repräsentiert. Die historische Figur Nor-Bzan wie auch Thang-stong rGyalpo sind die anerkannt mächtigsten Zerstörer dämonischer Kräfte. In dem Streit, der sich bei der Entdeckung der wahren Identität des Wilden Königs des Nordens entspannt, wird er von Nor-bzan tödlich verwundet. Diese Geschichtslektion ist höchst interessant, weil auch im Kloster Tabo, das 500 Jahre älter als Thang-stong rGyalpo und sein Ritual im Ursprung ist, die linke Freskenwand der Lebensgeschichte Nor-bzans gewidmet ist, worauf wir nun die Tibetologin D. Klimburg-Salter, die die Fresken studiert, hinweisen konnten. Ist da ein bisher ungeklärter Zusammenhang oder wieder ein "Zufall" im Spiel? Oder ein Zuwachs an Inhalt im Lauf der Zeit nach Thang-stong rGyalpo? Der Dämon im Stein wird erneut vergeblich aufgefordert zu Kooperation.

 

Dann bereitet der Lo-chen einen demonstrativen Schwertertanz vor, um dem Übel seine Überlegenheit zu zeigen. In diesem tranceartigen, schneller werdenden Drehtanz steckt sich der Akteur schliesslich die Säbelspitzen in die Bauchfalten, bzw. danach in die Achselhöhlen, und macht in alle vier Himmelsrichtungen sozusagen Handstand auf den gefährlichen Spitzen, ohne sich zu verletzen. Als das den Dämon immer noch nicht berührt, bannt der Lo-chen ihn mit Gebärden und Mudras und kennzeichnet mit dem Phurbu, dem Zauberdolch und dem Doppelvajra, dem Diamentzepter die Stelle auf dem Stein, an der er ihn zerbrechen wird.

 

Letzte symbolische Versuche mit Pfeil und Bogen und weitere Opfer, die schwarzen Punkte auf dem nackten Oberkörper des zweiten Akteurs, die wohl die Krankheiten (vielleicht die Pest?) symbolisieren, selbst zu heilen, misslingen offensichtlich. Denn der Kranke geht in eine Art Trance, indem er unter dem Fellmantel vor dem Stein den Rauch von Weihrauchstäbchen einatmet; der Opferort wird noch einmal mantrisch bezeichnet, ein letztes Getreideopfer in alle Welt gerichtet, dann legt der Initiierte sich rücklings auf den Opferplatz, der gewaltige Stein wird auf seinen Oberkörper gelegt und der Lo-chen schmettert den runden Flussstein in einem Hieb auf den Fels auf dem Oberkörper.

 

Der Fels bricht beim ersten Schlag. Das ist das beste Omen, der Dharmakaya-Zustand; das Opfer ist gelungen, der Ort befreit. 1988 in Spiti.

 

Zur gleichen Zeit empfängt eine Solaranlage auf der höchsten Dachterasse des Klosters Kye, eingerichtet von seinem jungen, dynamischen Abt, dem klerikalen Herren Spitis, die Sonnenenergie für den Tempel darunter, der elektrisch beleuchtet wird. Das ist kein buddhistischer Widerspruch.

 

 

Literaturhinweise, u.a.:

 

S. C. Bajpai, Lahul-Spiti, A Forbidden Land in the Himalayas, Delhi 1987

 

Pedro Carrasco, Land and Politiy in Tibet, Seattle, 1959

 

A. H. Francke, Antiquities of India Tibet, New Delhi 1926

 

Gazetteer of India, Himachal Pradesh, Lahul and Spiti, Delhi

 

M. S. Gill, Himalayan Wonderland, New Delhi 1972

Wolf Kahlen, Spiti (Erster Bildband über Spiti, noch unveröffentlicht)

 

D. Klimburg-Salter, Notes on the Chronology of Ta-pho Du Khan,  Ismeo, vol. 35, No. 1-3, Roma 1985

 

D. Klimburg-Salter, Reformation and Renaissance: A Study of Indo Tibetan Monasteries in the 11th Century, Roma 1987

 

Georges Roerich, The Ceremony of Breaking the Stone, Journal of Urusvati Journal,

Vol. 11, 1932

G. Tucci, I Templi del Tibei occidentale e il loro simbolismo artistico, Roma 1935

 

 

 

 

 

 

 

Bhu-chen, "Schauspieler" des Rituals "Phowa rdo czag"

 

© Thang-stong-Gyal-po Archiv Berlin