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Steckel, Helmut: Tibet Eine Kolonie Chinas, Hamburg, 1993      Steckel, Helmut: Tibet darf nicht sterben, Hamburg, 1992   Das Neue China, Berlin 1992

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Archíiv Orientální, Prag, 62/1994       in: Anthropology of Tibet and the Himalaya, Zürich, 1993

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PHILOSOPHIE UND WISSENSCHAFT

 

 

Wolf Kahlen

 

Teilnahme an der Schöpfungsordnung

DIE RENAISSANCE DER TIBETISCHEN ARCHITEKTUR

 

 

Es fällt mir schwer und gleichzeitig leicht, über tibetische Architektur zu schreiben. Sehr schwer, weil es eigentlich gilt, viele gedruckte Mißverständnisse auszuräumen, und leicht, weil ich in den Tempeln (IHa-khang), Klöstern (dGon-pa) und Burgen (rDzong) Tibets gewohnt, gelebt, geschlafen und gearbeitet habe. Ich habe sie er-lebt. Um beide falschen Blickwinkel, den korrigierenden, linearen ebenso wie den vielleicht subjektiv kreisenden zu vermeiden, nehme ich drei unbekannte architektonische Beispiele und spreche vier Strukturelemente an. Alle werden hier erstmals vorgestellt und dokumentiert. Sie sind Gegenstand meiner Forschungen über den genialen Tibeter Thangtong Gyälpo.1 Konzentrieren wir uns also auf zwei Sakralbauten, den Zylindertempel Dumtse (lZlum-brtse IHa-Khang) im Parotal in Bhutan und den Stufentempel in Riwoche (dPal Ri-bo-che) im westlichen Mitteltibet, und auf eine “profane” Bauingenieurleistung, die Eisenkettenbrücke von Riwoche. Dazu zunächst einige Vorbemerkungen:

 

I.

 

Oberflächen sind Häute, und diese Kontaktstellen nach außen und innen sind Grenzen der Erfahrungen eines Darunter und eines Darüber. Sie sind auch Nähte, an denen Systeme sich verbinden oder auseinanderreißen. Wie alles besitzt auch die tibetische Architektur nicht nur eine Oberfläche (die allerdings ist schon mehrfach beschrieben worden). Aber das, was die äußeren und inneren architektonischen wie spirituellen Welten zusammenhält, dieses Stehaufmännchen der Illusionen, richtiger gesagt, der Spiegelungen, beginnen wir erst langsam zu verstehen.

 

II.

 

China ist zur Zeit ein Land voller Kitsch. Wie leider manches andere hat China auch den Kontakt zu seinen großen Philosophen und Traditionen mehrfach gewaltsam abgebrochen. Heute hat der Durchschnittschinese für Kultur keinen Sinn mehr, hat seine Seele verloren. Kulturverständnis regt sich nur an der Oberfläche des Historischen Objektes als etwas “Berühmtes oder Nichtberühmtes”, “Altes oder weniger Altes”, aus einer bestimmten Menge dieses oder jenes Materials und so und so wertvoll. Statuen werden nach Tonnen oder Kubikmetern bemessen oder nach dem Goldgewicht. Auch dies eine psychologische Folge des linearen technologischen Fortschrittdenkens. Darum bedeuteten den Chinesen die “primitiven und feudalen” Strukturen Tibets nichts, sondern waren für sie im Gegenteil klare Indizien einer Unterentwicklung.

 

Während der selbstbewußte Han-Chinese auch heute noch so denkt, argumentiert die offizielle Politik schon wieder anders. Ihre Motive sind jedoch ebenso unsauber. Jetzt geht es um Tourismus, Devisenökonomie und den Versuch sich politisch reinzuwaschen, wenn die Chinesen den Wiederaufbau des Zerstörten fördern. Der “animalische" Trieb, den Skulpturen die Köpfe abzuschlagen (sie könnten ja leben), oder auf ein fremdes Heiligtum, nachdem man es ausradiert hat, ein eigenes zu setzen, ist weltweit und seit allen Zeiten existent. So stehen ironischerweise auf dem Eisenberg (lCags-po-ri) im Lhasatal statt der berühmten Medizinhochschule jetzt eine Radaranlage und Sendemasten, die neuen eisernen Werte. Dabei war und ist der Eisenberg das lebenswichtige spirituelle Pendant zum Roten Berg, dem Potalaberg (dMar-po-ri): Beide halten sich in friedfertiger Balance.

 

Es gab immer schon Orte der Kraft und solche der Schwäche, und die Planer der Welt hatten immer ihre Instrumente, Riten und Erfahrungen für heilige wie verhängnisvolle Orte zur Hand. Selbst das bei uns übliche Einmauern von Urkunden und “Reliquien” anderer Art ist eine unreflektierte archaische Praxis. Wenn der Tibeter sein Haus errichtet, werden mit einer Thangtong-Gyälpo-Statue dessen reinigende Mahasiddhakraft und sein magischer Schutz eingebracht. Damit wird auch dessen Bedeutung als Schutzpatron der Architekten und Ingenieure deutlich.

 

Zu dem erwähnten Kitschverhalten der Intellektuellen gehört auch die sublimere Form, ein “Symbol als Symbol” zu verstehen, bei einer rationalen Einordnung zu bleiben und hautnahe Erfahrungen zu scheuen. Erst Govinda2 ist es gelungen, die materialisierte Symbolik der Stupa- oder Chörten-Architektur (mchod-rten) zu erläutern. Ohne dauerhaften Erfolg versuchen auch wir Künstler seit jeher zu beweisen, daß ein Kunstwerk eine neue Realität in sich selbst ist, nicht eine Darstellung eines Dinges, Sachverhaltes oder eines Kontextes.

 

Wissen und Anschauung sind und bleiben verschiedene Dinge. Als wir 1985 für den König von Bhutan arbeiten durften, öffneten sich auch unsere Sinne für die Architektur erst in der Anschauung. Die Methode war einfach: Wir hatten auf alle Instrumente verzichtet, die sonst für uns intermediär arbeitende Künstler unverzichtbar waren. Ohne Foto, Film, Video- oder Audiorecorder, nur mit der Wachheit aller Sinne und mit dem Zeichenstift waren wir unterwegs. Der Ballast gesicherten, intellektuell getrübten “Wissens" fiel schon bald von uns ab. Aus direktem Berühren leitete sich unser Berührtsein ab.

 

An den eingangs erwähnten Beispielen, die alle von Thangtong Gyälpo stammen, lassen sich wesentliche Grundlagen der tibetischen Architektur aufzeigen. Um unzulässige Verkürzungen zu vermeiden und nicht zu wiederholen, was die umfangreiche, sich gegenseitig aufeinander beziehende Tibetliteratur schon geschrieben hat, halte ich mich an die direkte Berührung.

 

Die unvergleichliche Überzeugungskraft der tibetischen Architektur liegt für mich in einem bisher ungewürdigten archaischen Selbstverständnis. Essentiell ist jeder sakrale Bau, Stufenreliquiar, Tempel oder Klosterfestung, für den Tibeter das wirkliche Zentrum der Welt, enthält virtuell und wörtlich die Achse der Welt, die axis mundi, den Weltenbaum, deren Ausstrahlung in der rituellen Praxis erfahrbar ist. Wenn jemand sagt, er fühle sich in Tibet zurückversetzt ins Mittelalter, ist das nur der Ansatz eines vagen Gefühls, dem in den tiefen Schichten viel weiter zurückliegendes, archaisches Bewußtsein zugrundeliegt.

 

 

 

Das Beispiel Dumtse

 

Hier im Parotal in Bhutan ist die Weltachse als erstes Strukturelement, einmalig in der tibetischen Architektur, im Dumtse-Tempel sichtbar materialisiert, in der Umwandlung (bsKor-ba) in allen drei Stockwerken dieses wohl einzigen erhaltenen Chörten-Tempels erfahrbar (Abb. 8a, d, e). Thangtong Gyälpo hat ihn 1433/34 erbaut. Chörten sind ursprünglich Setzungen elementarer Kraft, spirituell besetzte Punkte in der Landschaft (Sa'i me-btsa'), Reliquiengefäße mit der Kraft ihrer Toten, begrenzte Volumen im endlosen Raum wie ein jedes Monument. Sie sind, archaisch empfunden, das Errichtete, Aufgepflanzte, zum All Kontakt Aufnehmende, das dem Kosmos Entgegenwachsende, das ihn an der Spitze Tangierende. Als Gedächtnisschreine mit speziellem Aufbau3 (Abbildung 8c) und reliquiarem Inhalt sind sie, ähnlich einer sitzenden, meditierenden Figur oder einer Deckelvase kostbaren Inhalts, mit Schultern und Kopf versehen, üblicherweise nur in der Richtung des Sonnenverlaufs umwandelbar oder als Tor durchreitbar wie in Ladakh und dem früheren Eingangstor des alten Lhasa. Nie waren sie innen als Raum erlebbar. Hier in Dumtse ist erstmals ein Symbol der Boden der Wirklichkeit selbst, Schritt für Schritt erfahrbar, und es kulminiert “im Aufsteigen" von Stockwerk zu Stockwerk über der Spira in der Nähe der Spitze in der Berührung mit dem kosmischen Raum darüber. Es ist die Teilnahme an der Schöpfungsordnung, die vom Laien erlebte Schamanenleiter, der siebte Himmel, ähnlich den ersten sieben (physischen und geistigen) Schritten Buddhas; es ist das Erreichen des Weltenzentrums, des “ältesten" Punktes der zeitlosen Welt, des ahistorischen Zeitpunktes der Schöpfung, des Punktes jenseits von Zeit und Raum. Diese physische Erfahrung im Steigen ist nicht von der geistigen “Höherentwicklung" getrennt (was immer wieder verkannt wird von westlich Denkenden, die zwar den Dualismus von Physis und Geist theoretisch aufzuheben verstehen, ihn aber hier und da immer wieder sich unbemerkt in ihr Denken einschleichen lassen). Der gleiche Weltenbaum, dieselbe Leiter in den Zenit und hinab in den Nadir, die fünfte und sechste Weltachse der Tibeter, war wohl auch gemeint, als der große europäische Bildhauer Constantin Brancusi seine “Endlose Säule" (1937/38) an einem ihm bedeutsamen Ort in Rumänien errichtete. Interessanterweise war Brancusi, der zeitlebens empathisch an einem Repertoire kosmischer Urformen arbeitete, tief beeindruckt von der Lebensgeschichte des “größten Dichters Tibets”, Milarepa (Mi-la ras-pa): Er trug dessen Biographie, das Jetsun Kahbum (rJe-btsun bka'-'bum) immer bei sich und glaubte, eine Reinkarnation Milarepas zu sein, worüber er sich nur gegenüber intimen Freunden äußerte.

 

Entsprechend der äußeren Stufenform des Dumtse wird in den Fresken das “Pantheon” der “Friedvollen und Zornigen Aspekte des Einen Geistes" von Stockwerk zu Stockwerk zunehmend komplexer. Unten finden wir die Weltenhüter und die weltliche Lebensgeschichte des historischen Buddhas, darüber die schreckensvollen Schützer der Lehre, die Herrscher der Zwischenreiche sowie die großen Lehrer. Im dritten Stock dann die persönlichen tantrischen Helfer (yi-dam), die Dhyanibuddhas und die 84 großen Magier, die Mahasiddhas, zu denen der Erbauer später selbst hinzugerechnet wurde.

 

Aus den hier erstmals veröffentlichten Plänen des Tempels4 (Abb. 9a-e) wird neben der deutlich sichtbaren Weltachse der Mandala-Charakter im Inneren in Grundriß und Aufbau deutlich und der inhärente komplette Chörten sichtbar. Ich verzichte hier auf die Beschreibung des Mandalas (dKyil-'Khor) als Abbild der Strukturen von mikro- und makrokosmischen Welten, einer Wahrnehmungsphilosophie von gro§artigen und immer noch unterschŠtzten Dimensionen. Basierend auf den Schritten der Wahrnehmung des Abhidarma5 war es mšglich, die Welt - und nicht nur diese - in ihrer hierarchisch differenzierten Form zu duchschauen.

 

Bleiben wir jedoch bei der sichtbaren Wahrnehmung dieser Welt und wenden uns nach der sichtbaren Weltachse der sichtbaren Geomantie eines Ortes zu, dem zweiten Strukturelement. Wie alle sakralen GebŠude Tibets6, Ÿbrigens erkennbar an ihren dunkelroten BŠnderzonen unterhalb des Dachtraufs, besetzt auch der Dumtse einen bedeutsamen Ort in der Landschaft, einen neuralgischen Punkt: Auf der Landzunge dicht am Berg zwischen zwei FlŸssen gelegen, bezwingt der Dumtse-Tempel einen lokalen, neunkšpfigen schildkrštenŠhnlichen DŠmon am Fu§e eines drachenŠhnlichen Hšhenzuges. Der Tempel ist sozusagen der Fels auf dem Kopf des Drachens bzw. der Verschlu§ seiner Hšhle. Als HŸter der SchŠtze in Hšhlen tragen Drachen und Schlangen in vielen Weltmythologien Verschlu§steine auf ihrem Kopf. Das chinesische Feng-shui ist nicht unŠhnlich der tibetischen Geomantie, und enge ZusammenhŠnge sind wahrscheinlich. Wichtiger aber scheint mir die grundlegende †bereinstimmung mit anderen mythologischen Vorstellungen, die uns wie bei der Weltachse auch hier wieder an eine archaische stille †bereinkunft oder Unwahrheit denken lassen. So ist es auch zu verstehen, wenn Thangtong GyŠlpo 1448 einen alten Chšrten Guru Rinpoches7 im Norden Tibets wiederherstellt, ihn neu mit Steinen belastet, also seine Ganzheit wieder wirken lŠ§t, um (Ÿbrigens hier erfolgreich) zu verhindern, da§ die unglŠubigen Mongolen nach Tibet einfallen. Noch heute (1985) ist am “Kopf des Drachen” am dichten Berghang zum Tempel hin der königliche Thron Thangtong Gyylpos rudimentär zu sehen. Hier fanden die Rituale zur Besänftigung statt (mšglicherweise noch heute). Ich schätze das archaische Besetzen, das auch wir heute noch auf dem Mond oder anderen “eroberten Gebieten” mit Fahnen vornehmen, als eine solche Ur-Handlung ein.

 

In einer Aufstellung unserer Beobachtungen in Bhutan8 haben wir elf grundlegende Strukturelemente der bhutanesischen wie tibetischen Architektur herausgestellt und mit Zeichnungen und Texten belegt. Eines ist das hier beschriebene Besetzen (Occupying). Die anderen lauten: Piling Up, Topping, In Motion, Adding and Combinig, Repeating and Leading, Towering, Clustering, Emphatetic Setting, Transforming, Interconnecting and Connecting.

 

Das Auftürmen, das Piling Up, soll uns als weiteres wichtiges Strukturelement beschŠftigen.

 

 

 

Das Beispiel Riwoche

 

Im von uns entdeckten Stufentempel von Riwoche (dPal Ri-bo-che in Lastod Byang, erbaut 1449-1456), einem dreidimensionalen architektonischen Mandala, sinnlich materialisierter Philosophie sozusagen, ist das Auftürmen Grundprinzip (Abb. 10). Dies ist der ewige Versuch, Himmel und Erde miteinander zu verbinden, wie er von Babylon über die Pyramiden Altmexikos oder Ägyptens bis zu den Wolkenkratzern Tokios überzeugend oder in Rudimenten zu finden ist. Es sind auch die Weltstufen, Erkenntnisstufen, Daseinsstufen, Glücksstufen, Leidensstufen. In allen Kapellen dieser oder verwandter Bauwerke9 unterstützen Fresken diese Stufenstruktur. In Riwoche sind es seltene Mandalas (von Thangtong Gyälpos eigener Hand), denn Riwoche war ein Kloster tantrischer Praktiken.

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Aufgetürmt und über der “Vase” (bum-pa) bekrönt durch die dreizehn (zerstörten) sich gestuft überlappenden “Schirme” der Erleuchtung mit Sonne und Mondsichel, ist der Stufentempel (sKra-shis sgo mang) prinzipiell nichts anderes als die Steinhaufen (IHa-cha) auf dem Paß des Berges, die, von jedem einzelnen Pilger durch einen Stein ergänzt, fortgesetzt aufgetürmt werden. Es ist das gleiche Prinzip wie das Auftürmen vieler Dächer übereinander, in der Spitze endend im “Siegesbanner", einem Rundbanner, ehemals aus Seide, heute aus vergoldetem Kupferblech. Letztlich ist auch der Tragschrein (ebenfalls sKras-shis sgo-mang genannt), ein Miniatur-Chörten, den die bhutanesischen Barden auf dem Rücken von Ort zu Ort tragen, um damit die Lehre (dharma) zu verbreiten und zu vertiefen, indem sie Türchen für Türchen öffnen und Historisches und Spirituelles daran erklären. Für den am Ritual der Enthüllung und Belehrung Teilnehmenden öffnet sich da ein Segenspool über Generationen angesammelter Kraftströme. Die Tragaltäre sind das Getürmte schlechthin, eine Versammlung aller Aspekte des “Göttlichen", ein Kabinett aller Kostbarkeiten, die versammelte Einheit aller Dinge. Man kann das gar nicht genug betonen. Von Barbaren aller Zeiten wurde immer die oberste Spitze der Gebäude “geköpft", um den brisanten Kontaktpunkt der versammelten irdischen Kraft mit dem All zu unterbrechen. Hier in Riwoche haben auch die Chinesen das als erstes getan.

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Das Beispiel der Eisenkettenhängebrücke von Riwoche

 

Als viertes Element möchte ich das Brückenschlagen, das Miteinander-in-Beziehung-Setzen, das karmische Bewußtsein heranziehen. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist die hier erstmals dokumentierte Eisenkettenhängebrücke von Thangtong Gyälpo, eine Traumbrücke meiner Kindheitsvorstellungen (Abb. 11). Thangtong Gyälpo selbst soll einmal geträumt haben, leuchtende Pfade, diamantene Leitern und Brücken zum Wohle aller Wesen zu errichten. Dies ist eine seiner bewunderswerten Bauingenieursleistungen. Die von ihm 1436 im hohen Alter von über siebzig Jahren errichtete Brücke überspannt den hier in Riwoche etwa hundert Meter breiten Brahmaputra (gTsang-po) in zwei Schritten: von einer Uferseite bis zu einem vorgefundenem oder aufgetürmten Flußsteinfundament und von dort in einem zweiten Schritt, eine für Thangtong Gyälpo typische nachweisbare Methode, wie z. B. in Tse-tang (rTse-thang). Bis heute nicht rostende Eisenketten, geschmiedet in einer historisch einmaligen Technik10 aus Eisen von Kongpo im weiten Osten Tibets, geschmiedet in Bhutan, mit Yaklederstreifen verbunden, in denen Holzbohlen als Fußsteg liegen, tragen heute wie seit über 500 Jahren die Pilger und Gläubigen sicher über den Fluß, während eine neue chinesische Kabelbrücke einen Steinwurf weiter für den Tagesverkehr mit Tieren und Lasten genutzt wird. Die Brückenkonstruktion ist von heute noch beeindruckender Einfachheit und Funktionalität.

 

Die Brückenköpfe weiterer Brücken Thangtong Gyälpos (zum Beispiel in Docsum in Bhutan) sind Gebäude mit Widerlagern und gleichzeitig Opferschreine. Wir haben sechs Brücken des großen Tibeters lokalisieren können. Seiner Biographie zufolge hat er sechzig oder achtzig oder 108 (in heiliger Zahl) und zahlreiche Holzbrücken und Fähren gebaut. Sie verteilen sich vom Osten Tibets (Khams) bis weit in den Westen, ja sie sollen von Kaschmir bis Assam zu finden sein.

 

Auch diese Brücken sind über ihre Funktionalität hinaus gebaute Philosophie. Sie helfen den Lebenden und verbinden sie miteinander im geistigen Bewußtsein der gegenseitigen Abhängigkeit aller voneinander. Die Chinesen erkennen aus ihrer materialistischen Sicht nicht zu Unrecht Thangtong Gyälpo als die einzige historische, soziale, tibetische Persönlichkeit an. Es paßt ihnen natürlich auch, daß er technologisch fortschrittlich war. Seine anderen “Berufe" und Qualitäten sehen sie nicht. Dabei war er ebenso bedeutend als Innovator der Architektur (Dumtse), als Maler, Bildhauer, Poet, Komponist der noch heute gesungenen Arbeitslieder, als Gründer des tibetischen Theaters, als Mediziner, Philosoph und geistiger Führer einer renaissancehaften Zeit des Umbruchs auch in Tibet, der Zeit des Reformators Tsongkhapa, der Zeit Leonardo da Vincis in Europa, mit dem wir ihn ohne weiteres vergleichen können.

 

 

ANMERKUNGEN:

 

1 (1364-1485), tibetischer Mahasiddha und Universalgenie. Leben und Werk als Architekt, Maler, Bildhauer, Poet, Komponist, Gründer des tibetischen Theaters, Brücken- und Fährenbauer, Ingenieur, Philosoph, Mediziner, Ritualbegründer und spiritueller Führer in seiner Zeit. Seit 1985 Intensive Forschungen, 1988 erste internationale Thangtong Gyälpo Expedition nach Spiti, Nepal und Tibet. Bisherige Publikationen:

- Tibets Leonardo. In: VDI Nachrichten-Magazin, November 1990, S. 90 ff.

- Der Dämon im Stein. Wiederentdeckung eines mittelalterlichen Rituals im verborgenen Spiti. In: Junges Tibet. September 1990. S. 44 ff.

- Der Mahasiddha Thang-stong rGyal-po - ein Leonardo Tibets. In: Dharma-Nektar 3/90, S. 18 ff.

- Der Dämon im Stein. in: Indo Asia, IV/90

- Der Dämon im Stein. Videofilm U-matic, 110 Min. Edition Ruine der Künste, Berlin 1990.

- Kunst in der Ruine. Modell für Bhutan. In: Indo Asia, 4/86, S. 65 ff.

2 Govinda Anagarika: Der Stupa. Freiburg 1978.

3 Govinda Anagarika: Der Stupa. Freiburg 1978.

4 Maseland, Jos, holländischer Architekt, hat 1984/85 in Bhutan diesen und andere Tempel und Dzongs architektonisch vermessen und gezeichnet. Pläne mit freundlicher Unterstützung des Urhebers. Damit werden die Skizzen D. l. Lauf in: Ethnologische Zeitschrift, Zürck II/1972, S. 99 von Helmut Uhlig, benutzt In: WiPu, Himalaja 1987, S. 247, korrigiert.

5 Lama Chögyam Trungpa: Jenseits von Hoffnung und Furcht. Gespräche über Abhidarma. Wien 1978.

6 Wir subsumieren hier Bhutans Architektur, wohl wissend um die Unterschiede, um auf fundamental Verbindendes aufmerksam zu machen.

7 Guru Rinpoche (Ehrwürdiger Lehrer) ist die umgangssprachliche Bezeichnung des historischen Mahasiddhas Padmasambhava, des Begründers des tibetischen VajrayanaBuddhismus im 9. Jahrhundert in Tibet und des Erbauers des ersten Klosters, Samye (bSam-yas).

8 Bericht an die königliche Regierung von Bhutan: Wolf und Barbara Kahlen: Four Proposals in Art and Architecture for Bhutan, 1985. Nur in 2 Exemplaren existent.

9 Gyantse (rGyal-tse), Byang (rGangs), Jonang (JJo-nang), Tholing (mTho-gling), Sili Gotsang (Si-li rgod-tshang).

10 Für die “Verschweißung” der geschmiedeten Kettenglieder verwendete man Arsen, um den Schmelzpunkt des Eisens zu senken. Diese Methode ist in der Metallgeschichte sonst nur noch von römischen Damaszenerschwertern bekannt. Zusammenhänge zwischen den beiden Kulturen, z. B. über die Seidenstraße, sind nicht auszuschließen. Thangtong Gyälpo wurde das technische Geheimnis allerdings von Musen, den Dakinis übergeben.

 

 

 

ARCHIV ORIENTALNI 62, 1994

 

The "Renaissance" of Tibetan Architecture in the 15th Century by Thang-stong rGyal-po

 

 

Wolf Kahlen, Berlin

 

 

It is a heavy and at the same time an easy task to write about Tibetan architecture. Very difficult, because there have to be outrooted a number of printed and from those again quoted misunderstandings, easy, since I have been dwelling, living, sleeping and working in temples (IHa-khang), monasteries (dGon-pa) and fortresses (rDzong) in Tibet, Bhutan, Sikkim, Spiti etc. I experienced them1. To avoid both equally wrong angles of view, the correcting, linear one as well as the subjectively circulating one, I shall talk here about three unknown architectural examples and point out four structural elements2. They are part of my research on the genious Tibetan mahasiddha Thang-stong rGyal-po3. Here we concentrate on his cylindrical shaped mchod-rten temple Zlum-brtse IHa-khang in the sPa-gro chu valley of Bhutan and the bKra-shis sgo-mang temple of dPal Ri-bo-che in the western part of middle Tibet, and on a "profane" example of engineering, the iron-chain bridge of dPal Ri-bo-che.

 

Two prefatory, sorry, longer remarks seem to be necessary.

 

 

1 The originally used German term: Erleben (experience) contains Leben (living)

 

 

2 All presented and documented here for the first time in this English version. The different German version has been published in: Helmut Steckel, Tibet - Eine Kolonie Chinas, Hamburg, 1993, p. 107-114, photos Nr. 8 (a-e)- 11

 

 

3 Thang-stong rGyal-po (1364-1485),Tibetan mahasiddha and universalist genius. Architect, painter, sculptor, engineer, composer, founder of Tibetan theater, bridge and ferry builder, physician, philosopher, spiritual leader and initiator of rituals. 1988 we made the First International Thang-stong rGyal-po Expedition to Spiti, Nepal and Tibet.

 

Own Publications (until 1993):

 

- Tibets Leonardo. In: VDI Nachrichten-Magazin. November 1990, p. 90-100, 8 color illustrations

 

 

- Der Dämon im Stein. Wiederentdeckung eines mittelalterlichen Rituals im verborgenen Spiti. In: Junges Tibet. September 1990, p. 44-49, 2 black/white illustrations

 

 

- Der Dämon im Stein. in: Indo ASia, No. IV/1990, p. 24-32, 6 color, 5 bIack/white illustrations - Der Mahasiddha Thang-stong rGyal-po - Ein Leonardo Tibets. In: Dharma-Nektar, 3/1990, p. 18-20, 4 black/white illustrations and the cover

 

- Der Dämon im Stein. Videofilm, 1988-90, 110 minutes

 

 

- Thang-stong rGyal-po - A Leonardo of Tibet. In: Anthropology of Tibet and the Himalaya. Ed. by Charles Ramble and Martin Brauen, Zürich 1993, p. 138-149, 9 black/white illustrations - Teilnahme an der Schöpfungsordnung - Beispiele tibetischer Architektur. In: Das neue China, Nr. 2/1992, p. 14-16, 3 black/white illustrations

 

 

- Thang-stong rGyal-po - A Leonardo of Tibet. In: European Bulletin of Himalayan Research. Nr. 3/1992, p. 40-45

 

 

- The Ceremony of Breaking the Stone. (Russian Text) In: Journal of the Roerich-Society, St. Petersburg/Moscow, 1993, p. 48-57, 1 black/white illustration on p. 55

 

 

 

 

1. Surfaces are skins, and these are the points of contact to the inside and the outside and the borders to the above and the under. They also are the seams, where systems join or tear apart. Like, anything else Tibetan architecture not only posesses a surface, is not an empty shell (which has been described surficially enough and claimed abstractly the synthesis of the macro- and micro-cosm without proofing it).

But what keeps the inner and outer, the architectural and the spiritual world together, this merry-go-round of illusions or this process of mirroring, to talk in Buddhist terms, we just may begin to understand.

 

 

 

2. China today is a country full of kitsch. As on other levels, China has broken with traditions brusquely and heavily several times, like with the connections to her great philosophers. Nowadays the average Chinese has no sense for any inherited culture (if you not consider the recent Mao-revival) a culture has lost its soul. Cultural perception or understanding, whatever that means, just happens on the surface of historical objects as something "famous or non famous", "old or new", "out of precious metals" or not, of or without "value". Statues, not only religious ones, are weighed in tons or measured by cubic meters or their gold plated appearance is claimed. At least this is the official way of interpretations and guidance of the people. Of course this is another psychological heritage of linear, technological and progressive thinking (pure pragmatism, if we do not want to evaluate). Understandably then that the "feudal and primitive" structures of former Tibet are just indications of Tibet's "underdevelopment".

 

 

While the general Han-Chinese today still feels obliged to think that way, the argumentations of the official politics have changed. Their motivations are equally pretentious. The new gods are tourism and profit-making, capitalist economics, and the task is to hide former errors by supporting reconstructions of the few major existing temple-museums in tourist centers, which may "spit perls" like the mungo in the deity Kubera's arm, who is the responsible dharmapala of the north and the treasures.

The animal behaviour to cut off heads of sculptures (they might be living) or to occupy previous holy places by one's own "values" is not only a Chinese, but a worldwide habit ever since and probably forever.

 

 

In Lhasa for example, ironically the Iron Mountain ICags-po-ri, cleared off as the Tibetan Academy of Medicine in the Cultural Revolution, now houses the new iron values, radio- and TV-towers. This actually is more than an accident, because the ICags-po-ri is the necessary spritual pendant to the dMar-po-ri, the red, the Potala-mountain. Buddhism on dMar-po-ri balances the harmony with the Klu or Nagas dwelling at ICags-po-ri since the foundation of Lhasa4.

 

 

 

 

 

4 lCags po-ri, the Iron Mountain and the habitation of the Nagas and other demons and Mar po-ri, the Potala mountain, the red one, were outbalanced concerning the believed to be there spiritual or

 

There have always in history been known and experienced sites of power and strength and those of weakness, and there have always been rites and cures at hand to handle or use them. Even "our" common enwalling of documents or relics is such an archaic practice. When a Tibetan house is been built the mahasiddha Thang-stong rGyal-po's powers of cleaning and magical protection are contained in the placing of the statue in a corner "stone". By this custom his position as patron of (anonymous) "architects and engineers" is marked (for us).

 

A more sublime form of kitsch-behaviour of intellectuals is to understand a "symbol as mere symbol", is to be content with this abstraction, this rational term, to avoid skin touch, the direct experience. For ages, with no penetrating remaining result, artists all over the world try to prove that their works of art (if these are site-specific) are not representations of, but a new reality in themselves and establish a new context within the given environment. For a Tibetan monk artist this is a matter of fact, an evidential motivation.

 

Knowledge and perception are or seem to behave like two different things. When working for the Royal Government of Bhutan5, our (though theoretically Buddhist) trained senses for the architecture did not open up until "the first touch", though we were sculptors, have been building ourselves for years. It was a simple method that initiated the breakthrough: we had decided to work in Bhutan without any of our usual instruments: without film, video, photo, audio. No recording, but being "touched by touch".

 

Using the initially named examples of architecture, which all are Thang-stong rGyal-po's, we shall be able to demonstrate major characteristics of Tibetan architecture and his innovations, which I dare to call a renaissance. It is not a renaissance in the general sense, because there is no direct retracing on a given historic former style or philosophy. But it is a going back to the roots of human perception and understanding as an entity process, an archaic behaviour, which I understand as desirable in this

 

 

 

 

 

 

demonic forces, until the unbalance by destruction of the Medicine Academy on ICags po-ri in the 1960s took place. In 1986 we noticed that a huge Thang-stong rGyal-po statue had been installed on the western ridge of mar po-ri, close to the former entrance gate to Lhasa, where the main "Happiness road" now cuts the two mountains apart. A reputable Tibetan physician told me that nothing was allowed to be placed on or even necessary on mar po-ri before, but now after the Chinese disturbances Thang-stong rGyal-po, the ICags zam-pa, the iron bridge man, was needed to clear off the "iron problems". "The mahasiddha's strength still works". "Now there is hope for Tibet again", he said in 1988.

 

 

5 1985 I worked as Consultant in Art and Architecture, assisted by my wife Barbara, travelling within the country of Bhutan and making researches by drawings. As result of the work there has been published a small handdone report with more than 40 illustrations, called: Four Proposals in Art and Architecture for Bhutan. We delivered the original to the King Jigme Singye Wangchuk, one copy is at the Library of Tibetan Works and Archives at Dharamsala. After our return from Bhutan an architectural model (about 300 x 100 x 110 cm) has been built, which is my design for a possible Museum of Daily Life Bhutan at Drug-gyel rDzong, sPa-gro, Bhutan. The model now is in the Museum für Völkerkunde, Berlin-Dahlem.

 

 

(and other) case(s). That this “renaissance” not even has succeeded and survived, does not allow us to neglect it6.

 

The uncomparable and convincing powers of Tibetan, as well Bhutanese architecture lie in their so far unacknowledged archaic qualities. We are pointing out here only a few unnoticed. Essentially each sacred building, mchod-rten, lHa-khang, rDzong or dGon-pa is the center of the world and universe, contains virtually as verbally the axis mundi, the world tree, the ladder of the shaman, and therefore radiates this way spiritually. The Tibetan practitioner feels the empowerment by touch of the axis (if he ever could do so). If some visitor of Tibet says, he feels set back into the middle ages in Tibet, he is right, since his vague notice is rather rooted inside his own archaic self.

 

 

 

The Example of lZlum-brtse

 

This temple in Bhutan is the only existing one7 within the Tibetan world and other Buddhist countries (?), where the axis mundi as a dominating structural element of the architecture has been materialised visually and can be touched during the circumambulation, bsKor-ba, on three floors (see illustrations 1 and 2a-e). And it is the only remaining mchod-rten-temple in history. Thang-stong rGyal-po built it in 1433/34. Chšrten usually are, as we know, settings of elementary powers, spiritually occupied points, sa’i me-btsa, in the environment, and if realiquiaries, loaded with energies of usually reincarnated ones, and they are limited volumes in the unlimited universe. In an archaic sense, they are the piled up ones, the planted ones, the daring points of getting into contact with the universe, the tangent ones. When built as memorials with a certain structure, they resemble, as Govinda sensed empathetically8, a meditating person or the ambrosia containing precious vase, with the features of shoulders, a head and crossed legs as a basis. Some were gateways like in Ladakh or the entrance to historic Lhasa. Never they have been built to be used as shrine rooms, never before Thang-stong rGyal-po did so. Here in lZlum-brtse for the very first time the symbolic character of the building can be sensed by more than one sense, can be experienced step by step from floor to floor through the bum-spa to the spira, like the ascent to understanding and liberation or enlightenment and approach to the realm of

 

 

 

 

 

 

6 The biography of Thang-stong rGyal-po (see 10) names several more buildings of mchod-rten structure, none of them we could find or even hear of anymore until today. Probably due to Tsong-kha-pa’s reformation (the establishing dGe-lugs-pa-view, which was not interested in experimental innovations) and the invasions from the north, unfortunately and obviously the “idea vanished”. The “renaissance” stayed unnoticed because of “bad luck” with the sociocultural and political conditions of the time. (Though Tsong-kha-pa on the other hand needed Thang-stong rGyal-po as a physician at one time to ban the demons of an epidemic wiping out the people of Lhasa. This was the moment of cration of the Pho-bar rdo-czog, the ritual of Breaking the Stone, Thang-stong rGyal-po created and used successfully several times.)

 

 

7 To my knowledge. I am anxious to hear of any other ones.

 

 

8 Lama Anagarika Govinda. In: Der Stupa, Psychokosmisches Lebens- und Todessymbol, Freiburg 1978.

 

Shambala, mount Meru or Kailas, the very center of the world etc., or however you may like to name it. lt is participation in the process structure of creation, like the steps the shaman climbs up, the seventh heaven, similar to the first seven physical and spiritual steps of Gautama Buddha. lt means reaching to the oldest and most recent point in time within timelessness, an ahistorical point of time, beyond time and space.

 

The physical circular walk, "touching with the right shoulder" the central solid column, which is covered like the opposite walls with frescoes, then climbing up to the second and the third floor, means a physical and spiritual experience of raising one's consciousness: by the climb, the "education" through paintings, the invested energy and the reaching of a level with a physical and spiritual outlook.

 

It is a double walk, up to the zenith, down to the nadir, the fifth and sixth world axis of the Tibetans. This esoteric understanding was the main impulse to the great European sculptor Constantin Brancusi, when he erected his "Endless Column" in 1937/38 in Romania at a well known powerful site. It is of importance to know that Brancusi, who worked all his life within a repertoire of timeless, basic and very reduced shapes, was deeply impressed by the biography of Tibet's greatest poet Mi-la-ras-pa. He carried his book rJe-btsun bka'-'bum with him, wherever he went and believed, himself to be a reincarnation of Mi-la-ras-pa, only a few of his intimate friends knew of9.

 

According to the physical steps of the building, the Buddhist pantheon depicted in the frescoes "winds up" from the Guardian Kings and the life Story of the Historical Buddha to the Wrathful Deities, from the great teachers to the personal tantric yi-dam, from the Dhyanibuddhas to the 84 Indian mahasiddhas. The architect himself had been added to the Indian mahasiddhas of previous times as the only Tibetan one.

 

The given, here first published correct architectural plans of the temple10 clearly show the interior dKyil-hkhor structure with a solid central column as the axis mundi, reaching from the ground floor to the top of the obvious mchod-rten, which is in total incorporated in the building. Based on the grand Abhidhanna theory of perception, and made sensibly perceivable by the artist Thang-stong rGyal-po, who was as great a tantric practitioner, theoretician and philosopher as a practicing artist, architect and engineer (etc.), the micro- and macrocosmic structure analogies can now be understood on another level. It seems to be a paradox that a lung-stong smyon-pa, a Madman of the Empty Valley, as he was called also, living at the same time as the great reformer Tsong-kha-pa, had to show up in the 15th century to transfer abstract sophisticated symbols into sensual perceptions. Only an artist could have done that.

 

 

 

 

 

9 After an initiation by a brotherhood of dyers in Romania he walked all the way by foot to Paris analogously to Mi-la-ras-pa's wanderings on search for wisdom and the dharma.

 

 

10Jos Maseland, Dutch architect, has in 1984/85 measured and drawn this and other Bhutanese buildings, when I was present there too. The plans are published here with courtesy of the architect. They correct the sketches of D. l. Lauf in: Ethnologische Zeitschrift, Zürich II/1972, p. 99 and those one used by Helmut Uhlig in: Himalaja, 1987, p. 247.

 

Staying with "mad decisions", daring solutions, we must recognize that lZlumbrtse IHa-Khang, of course auratically been placed at a power site, in some regards broke several rules. The geomantic setting between two joining rivers in this case is extraordinary, because the river tongue area is not at all elevated as usual, but in danger of floods of the melting glaciers of the Chomolhari region. The temple itself sits as said in Thang-stong rGyal-po's biography11 on the head of a serpent creeping down from the mountain slopes and guarding the treasures, secrets as well as material treasures like any other dragon or serpent in any other archaic civilisation. The mass of stones of the building cover the entrance to the serpent's cave. But in order to be in good terms with him, a throne on the site of the dragon's head has been used ritually to "calm each other down".

 

The planting of flags on the moon is a leftover of our archaic occupying behavior, only the continuous offerings to any "moon deities" are missing, which of course would be essential to complete the comparison.

 

The method of occupying seems to us to be one of the major structural elements of (not only) Tibetan architecture. Others are, as we pointed out and proved by drawings during our work in Bhutan, the Piling Up, the Topping, In Motion, Adding and Combining, Repeating and Leading, Towering, Clustering etc.

 

I only mention them, since the Occupying and Piling Up have been inherent in the lZlum-brtse mchod-rten construction and the latter is of evidence at the second example.

 

 

The Example of dPal Ri-bo-che Temple

 

Piling Up is the main method of the type of bkras-shis sgo-mang mchod-rten at dPalRi-bo-che at the Tsang-po river south of Namring in La-stod Byang, which we discovered 1988 and document here (see illustration 3).

 

Built in 1449-56 by Thang-stong rGyal-po, it first of all demonstrates the common eternal try to connect earth and heaven, as if done in Babylon or at the Mexican pyramides or subliminal in Tokyo's skyscrapers. But built within a philosophical "Weltbild" its steps are steps of being, life, luck, suffering, as well as of insights. dKyil-hkhor-shaped buildings of this kind12 inside usually house several small chapels filled with frescoes. In dPal Ri-bo-che rare tantric dKyil-hkhor paintings after Thang-stong rGyal-po's own design (as the biography state) or even of his hand support the importance of that former tantric academy.

 

 

 

 

 

 

 

 

11 The most reliable biography we used is of Lo-chen 'gyur-med bde-chen, translated by Cyrus Rembert Stearns, who was member of my First International Thang-stong rGyal-po Expedition in 1988. The biography served as basic material for the planning and preparation of the expedition.

 

 

12 rGyal-rtse, rGangs, Jo-nang, mTho-gling, Si-li rgod-tshang.

 

 

The destroyed top of the stepped temple, as we know from an old drawing we found, above the vase bum-pa, crowned by thirteen overlapping "umbrellas" of enlightenment, adorned with the moon and the sun, as usual, principally demonstrates the same idea like any heap of stones on the top of mountain passes. lt is the structure of Piling Up, piling up stones either in rivers in Bhutan or piling up roofs in architecture, or piling up "banners of victory", formerly silken ones, now "frozen" into metal. Finally the wooden miniature chörten, which Bhutanese bards still carry on their backs from place to place to teach the dharma, while opening the numerous little shrine doors, thus opening up knowledge and spreading it as well as history lessons, is a bKras-shis sgo-mang. The participant in the ceremony of unwrapping the shrine hidden in hundreds of scarfs of devotion or donated precious jewellery, receives the assembled blessings of (sometimes) ages of use. These shrines are the Piled Up per se, the assemblance of all aspects of the divine mind, cabinets of the highest possible (though only three-dimensional matter) concentration of the pantheon.

 

Barbarians of all ages used to cut off the heads or crowns of representation. So the Chinese did with the golden top of the temple at dPal Ri-bo-che.

 

 

 

The Example of the Iron Chain Bridge at dPal Ri-bo-che

 

The fourth element I like to introduce is the method of Bridging: the interconnecting, the carmic conscience of carmic interdependaces. A glorious example is the iron chain bridge of Thang-stong rGyal-po at dPal Ri-bo-che, we also discovered in late summer 1988 (see illustration 4).

 

lt looks like the bridge of the dreams of my childhood. Thang-stong rGyal-po himself dreamed as a child (it may be interesting to compare the dream with Plato's cave parable) to sit in a deep pit with other humans, who suffered not to be able to escape to the clear light of the sky, and he constructed diamond ladders, light rays to walk on and bridges to gap distances. This one here he did in 1436, at the age of seventy five (and continued bridge building till the end of his 124 year long life), here spannig the upper gTsang-po of about 100 meter width in two steps, as is characteristic for his constructions, like in rTse-thang in the east: from one river bank the chains stretch to a foundation on a found or built island in the river, then continue in a second span. The iron of the chains does not rust till today. The iron he found in Tibet's eastern province Kongpo, was then blacksmithed in sPa-gro valley in Bhutan in a unique process13 and transported by yak caravans across the Himalayan ranges into Tibet.

 

 

 

 

 

 

13 To reduce the necessary temperature during the solding process of the blacksmith hammered chains they apparently added arsenic. This method is known in the history of metallurgic investigations only of the Roman swords of the Damascens, which may have been known in Tibet by ways of the silk road. Thang-stong rGyal-po is been said to have received the knowledge by the dakinis.

 

Four, seven or nine chains were fixed at the boulder or rock foundation at the river sides, many yak hide ropes were attached to the chains every foot length, and hanging down in a bow, they were connected from left to right to shape a receptacle for wooden logs to be laid down in, on which one can walk easily. The bridges' construction impresses even today, and works14. Pilgrims worship the dPal Ri-bo-che bridge and use it for ritual reasons only, the nearby Chinese bridge is used for profane transportation. The foundations of other bridges sometimes, like at Docsum in Bhutan, serve as sites for shrine rooms. According to his biography the mahasiddha built - if not (of course) the symbolic number of 108 - many iron chain bridges, several wooden ones and ferries. They are believed to be dispersed from Assam to Kashmir.

 

Regardless to say these bridges are besides their material functions "built philosophy", physically helping the living ones to trespass rivers and canyons, and spiritually reminding of "helping to cross ignorance and other obstacles". Even the Chinese started to acknowledge Thang-stong rGyal-po as (the only) social and modern personality in Tibetan history. It suits them that he used and developped technology for a "socialist" goal. His other qualifications are of no interest (so far) to official politics of today. They just neglect that he was a grand innovator as architect, as painter, sculptor, poet, composer of work songs still sung today, as the founder of Tibetan al-che Iha-mo theater, as physician, and as spiritual leader of sublime tolerante at the time of the refomer Tsongkhapa. Last but not least Thang-stong rGyal-po lived at the same time as the renaissance artist Leonardo da Vinci, with whom we obviously now may compare him15.

 

All drawings and photos:

Wolf Kahlen / Thang-stong rGyal-po Archive Berlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

14 We found traces of 8 iron-chain bridges so far and know of many more supposedly vanished ones. We could date one exactly. It was built 1442 in the water-dog year, one of the very first, built.

 

 

15 Since the lives of Leonardo and Thang-stong rGyal-po overlap for 33 years, Leonardo being born later in 1452, it would not be surprising to see Leonardo as a reincarnation at Thang-stong rGyal-po's life time, which is possible within the theory of reincarnations.

 

 

 

Tibet

 

Teilnahme an der Schoepfungsordnung

Beispiele tibetischer Architektur

 

Es fällt mir schwer und gleichzeitig leicht, über tibetische Architektur zu schreiben. Sehr schwer, weil es eigentlich gilt, viele gedruckte Mißverständnisse auszuräumen, und leicht, weil ich in den Tempeln, Klöstern und Burgen Tibets gewohnt, gelebt, geschlafen und gearbeitet habe. Ich habe sie er-lebt. Um beide falschen Blickwinkel, den korrigierenden, linearen ebenso wie den vielleicht subjektiv kreisenden zu vermeiden, nehme ich drei unbekannte architektonische Beispiele und spreche vier Strukturelemente an. Alle werden hier erstmals vorgestellt und dokumentiert. Sie sind Gegenstand meiner Forschungen über den genialen Tibeter Thangtong Gyälpo. Thangtong Gyälpo, König der weiten (Bewußtseins-)Ebenen, wie sein Name verheißt, lebte im 14. und 15. Jahrhundert. Nach der Darstellung seines Biographen aus dem folgenden Jh. lebte er 124 Jahre, permanent nomadisierend und auf Reisen tätig. Der Mahasiddha und Magier war Architekt, Maler, Bildhauer, Dichter und Komponist. Als Universalgenie, daher auch als Leonardo da Vinci Tibets bezeichnet, baute er Brücken und Fähren, war Ingenieur, Ritualbegründer und spiritueller Führer seiner Zeit. Sein Werk soll an zwei Sakralbauten, den Zylindertempel Dumtse im Parotal in Bhutan und den Stufentempel in Riwoche im westlichen Mitteltibet dargestellt werden, ferner an einer "profanen" Bauingenieursleistung, der Eisenkettenbrücke von Riwoche.

 

Dazu zunächst einige Vorbemerkungen:

 

1. Oberflächen sind Häute, und diese Kontaktstellen nach außen und innen sind Grenzen der Erfahrungen eines Darunter und Darüber. Sie sind auch Nähte, an denen Systeme sich verbinden oder auseinanderreißen. Wie alles besitzt auch die tibetische Architektur nicht nur eine Oberfläche (die allerdings ist schon mehrfach beschrieben worden). Aber das, was die äußeren und inneren architektonischen wie spirituellen Welten zusammenhält, dieses Stehaufmännchen der Illusionen, richtiger gesagt, der Spiegelungen, beginnen wir erst langsam zu verstehen.

 

2. China ist zur Zeit ein Land voller Kitsch. Wie leider manches andere hat China auch den Kontakt zu seinen großen Philosophen und Traditionen mehrfach gewaltsam abgebrochen. Heute hat der Durchschnittschinese für Kultur keinen Sinn mehr, hat seine Seele verloren. Kulturverständnis regt sich nur an der Oberfläche des historischen Objektes als etwas "Berühmtes oder Nichtberühmtes", als "Altes oder weniger Altes", aus einer bestimmten Menge dieses oder jenes Materials und so und so wertvoll. Statuen werden nach Tonnen oder Kubikmetern bemessen oder als Goldgewicht. Auch dies eine psychologische Folge des linearen technologischen Fortschrittsdenkens. Darum bedeuteten den Chinesen die "primitiven und feudalen" Strukturen Tibets nichts, sondern waren für sie im Gegenteil klare Indizien einer Unterentwicklung.

 

Während der selbstbewußte Han-Chinese auch heute noch so denkt, argumentiert die offizielle Politik schon wieder anders. Ihre Motive sind jedoch ebenso unsauber. Jetzt geht es um Tourismus, Devisenökonomie und den Versuch sich politisch reinzuwaschen, wenn die Chinesen den Wiederaufbau des Zerstörten fördern. Der "animalistische" Trieb, den Skulpturen die Köpfe abzuschlagen (sie könnten ja leben), oder auf ein fremdes Heiligtum, nachdem man es ausradiert hat, ein eigenes zu setzen, ist weltweit seit allen Zeiten existent. So stehen ironischerweise auf dem Eisenberg im Lhasatal statt der berühmten Medizinhochschule jetzt eine Radaranlage und Sendemasten: die neuen eisernen Werte. Dabei war und ist der Eisenberg das lebenswichtige und spirituelle Pendant zum Roten Berg, dem Potalaberg. Beide halten sich in friedfertiger Balance.

 

Es gab immer schon Orte der Kraft und solche der Schwäche, und die Planer der Welt hatten ihre Instrumente, Riten und Erfahrungen für heilige wie verhängnisvolle Orte zur Hand. Selbst das bei uns so übliche Einmauern von Urkunden und "Reliquien" anderer Art ist eine unreflektierte archaische Praxis. Wenn der Tibeter sein Haus errichtet, werden mit einer Thangtong Gyälpo-Statue dessen reinigende Mahasiddhakraft und sein magischer Schutz eingebracht. Damit wird auch dessen Bedeutung als Schutzpatron der Architekten und Ingenieure deutlich.

 

An den eingangs erwähnten drei Beispielen, lassen sich wesentliche Grundlagen der tibetischen Architektur aufzeigen. Die unvergleichliche Überzeugungskraft der tibetischen Architektur liegt für mich in einem bisher ungewürdigten archaischen Selbstverständnis. Essentiell ist jeder sakrale Bau, Stufenreliquiar, Tempel oder Klosterfestung für den Tibeter das wirkliche Zentrum der Welt - enthält virtuell und wörtlich die Achse der Welt, die axis mundi, den Weltenbaum, deren Ausstrahlung in der rituellen Praxis erfahrbar ist. Wenn jemand sagt, er fühle sich in Tibet zurückversetzt ins Mittelalter, ist das nur der Ansatz eines vagen Gefühls, dem in den tiefen Schichten viel weiter zurückliegendes, archaisches Bewußtsein zugrundeliegt.

 

 

 

Das Beispiel Dumtse

 

Hier im Parotal in Bhutan ist die Weltachse als erstes Strukturelement, einmalig in der tibetischen Architektur, im Dumtse-Tempel sichtbar materialisiert, in der Umwandlung in allen drei Stockwerken dieses wohl einzigen erhaltenen Chörten-Tempels erfahrbar. Thangtong Gyälpo hat ihn 1433/34 erbaut. Chörten sind ursprüngliche Setzungen elementarer Kraft, spirituell besetzte Punkte in der Landschaft, Reliquiengefäße mit der Kraft ihrer Toten, begrenzte Volumen im endlosen Raum wie ein jedes Monument. Sie sind, archaisch empfunden, das Errichtete, Ausgepflanzte, zum All Kontakt Aufnehmende, das dem Kosmos Entgegenwachsende, das ihn an der Spitze Tangierende. Als Gedächtnisschreine mit speziellem Aufbau und reliquiarem Inhalt sind sie - ähnlich einer sitzenden, meditierenden Figur oder einer Deckelvase kostbaren Inhalts, mit Schultern und Kopf versehen - üblicherweise nur in der Richtung des Sonnenverlaufs umwandelbar. Nie waren sie innen als Raum erlebbar. Hier in Dumtse ist erstmals ein Symbol der Boden der Wirklichkeit selbst, Schritt für Schritt erfahrbar, und es kulminiert "im Aufsteigen" von Stockwerk zu Stockwerk über der Spira (die konische "Spirale" der Ringscheiben eines Chörten) in der Nähe der Spitze in der Berührung mit dem kosmischen Raum darüber. Es ist die Teilnahme an der Schöpfungsordnung, die vom Laien erlebte Schamanenleiter, der siebte Himmel, ähnlich den ersten sieben (physischen und geistigen) Schritten Buddhas; es ist das Erreichen des Weltenzentrums, des "ältesten" Punktes der zeitlosen Welt, des ahistorischen Zeitpunkts der Schöpfung, des Punktes jenseits von Zeit und Raum. Diese physische Erfahrung im Steigen ist nicht von der geistigen "Höherentwicklung" getrennt (was immer wieder verkannt wird von westlichen Denkenden, die zwar den Dualismus von Physis und Geist theoretisch aufzuheben verstehen, ihn aber oft unbemerkt in ihr Denken einschleichen lassen).

 

Entsprechend der äußeren Stufenform des Dumtse wird in den Fresken das "Pantheon" der "friedvollen und zornigen Aspekte des Einen Geistes" von Stockwerk zu Stockwerk zunehmend komplexer. Unten finden wir die Weltenhüter und die weltliche Lebensgeschichte des historischen Buddhas, darüber die schreckensvollen Schützer der Lehre, die Herrscher der Zwischenreiche sowie die großen Lehrer. Im dritten Stock dann die persönlichen tantrischen Helfer, die Dhyanibuddhas und die 84 großen Magier, die Mahasiddhas, zu denen der Erbauer später selbst hinzugerechnet wurde. Aus den Plänen des Tempels wird neben der klar erkennbaren Weltachse der Mandala-Charakter im Inneren in Grundriß und Aufbau deutlich und der inhärente komplette Chörten sichtbar.

 

Wie alle sakralen Gebäude Tibets, übrigens erkennbar an ihren dunkelroten Bänderzonen unterhalb des Dachaufbaus, besetzt auch der Dumtse einen bedeutsamen Ort in der Landschaft, einen neuralgischen Punkt: Auf der Landzunge dicht am Berg zwischen Flüssen gelegen, bezwingt der Dumtse-Tempel einen lokalen, neunköpfigen schildkrötenähnlichen Dämon am Fuße eines drachenähnlichen Höhenzuges. Der Tempel ist sozusagen der Fels auf dem Kopf des Drachen bzw. der Verschluß seiner Höhle. Als Hüter der Schätze in Höhlen tragen Drachen und Schlangen in vielen Weltmythologien Verschlußsteine auf ihrem Kopf. Das chinesische "feng shui" ist nicht unähnlich der tibetischen Geomantie, und enge Zusammenhänge sind wahrscheinlich. Wichtiger aber scheint mir die grundlegende Übereinstimmung mit anderen mythologischen Vorstellungen, die uns wie bei der Weltachse auch hier wieder an eine archaische stille Übereinkunft oder Urwahrheit denken lassen.

 

So ist es auch zu verstehen, wenn Thangtong Gyälpo 1448 einen alten Chörten Guru Rinpoches im Norden Tibets wiederherstellt, ihn neu mit Steinen belastet, also seine Ganzheit wirken läßt, um (übrigens hier erfolgreich) zu verhindern, daß die ungläubigen Mongolen nach Tibet einfallen. Noch heute (1985) ist am "Kopf des Drachen" am dichten Berghang zum Tempel hin der königliche Thron Thangtong Gyälpos rudimentär zu sehen. Hier fanden die Rituale zur Besänftigung statt (möglicherweise noch heute). Ich schätze das archaische Besetzen, das auch wir heute noch auf dem Mond oder anderen "eroberten Gebieten" mit Fahnen vornehmen, als eine solche Ur-Handlung ein.

 

 

 

Das Beispiel Riwoche

 

Im von uns entdeckten Stufentempel von Riwoche (erbaut 1449-1456), einem dreidimensionalen architektonischen Mandala, sinnlich materialisierter Philosophie sozusagen, ist das Auftürmen Grundprinzip. Dies ist der ewige Versuch Himmel und Erde miteinander zu verbinden, wie er von Babylon über die Pyramiden Altmexikos oder Ägyptens bis zu den Wolkenkratzern Tokios überzeugend oder in Rudimenten zu finden ist. Es sind auch die Weltstufen, Erkenntnisstufen, Daseinsstufen, Glücksstufen, Leidensstufen. In allen Kapellen dieser oder verwandter Bauwerke unterstützen Fresken diese Stufenstruktur. In Riwoche sind es seltene Mandalas (von Thangtong Gyälpos eigener Hand), denn Riwoche war ein Kloster tantrischer Praktiken.

 

Aufgetürmt und über der "Vase" bekrönt durch die dreizehn (zerstörten) sich gestuft überlappenden "Schirme" der Erleuchtung mit Sonne und Mondsichel, ist der Stufentempel prinzipiell nichts anderes als die Steinhaufen auf dem Paß des Berges, die von jedem einzelnen Pilger durch einen Stein ergänzt, fortgesetzt aufgetürmt werden. Es ist das gleiche Prinzip wie das Auftürmen der Dächer übereinander, in der Spitze endend im "Siegesbanner", einem Rundbanner, ehemals aus Seide, heute aus vergoldetem Kupferblech. Letztlich ist auch der Tragschrein, ein MiniaturChörten, den die bhutanesischen Barden auf dem Rücken von Ort zu Ort tragen, um damit die Lehre (dharma) zu verbreiten und zu vertiefen, indem sie Türchen für Türchen öffnen und Historisches und Spirituelles daran erklären. Für den am Ritual der Enthüllung und Belehrung Teilnehmenden öffnet sich da ein Segenspool über Generationen angesammelter Kraftströme. Die Tragaltäre sind das Getürmte schlechthin, eine Versammlung aller Aspekte des "Göttlichen", ein Kabinett aller Kostbarkeiten, die versammelte Einheit aller Dinge. Man kann das gar nicht genug betonen. Von Barbaren aller Zeiten wurde die oberste Spitze der Gebäude "geköpft", um den brisanten Kontaktpunkt der versammelten irdischen Kraft mit dem All zu unterbrechen. Hier in Riwoche haben auch die Chinesen das als erstes getan.

 

 

 

Die EisenkettenhŠngebrücke

 

Als viertes Element möchte ich das Brückenschlagen, das Miteinander-in-Beziehung-Setzen, das karmische Bewußtsein heranziehen. ein leuchtendes Beispiel dafür ist die hier erstmals dokumentierte Eisenkettenhängebrücke von Thangtong Gyälpo, eine Traumbrücke meiner Kindheitsvorstellungen. Thangtong Gyälpo selbst soll einmal geträumt haben, leuchtende Pfade, diamantene Leitern und Brücken zum Wohle aller Wesen zu errichten, dies ist eine seiner bewundernswerten Bauingenieursleistungen. Die von ihm 1436 im hohen Alter von über siebzig Jahren errichtete Brücke überspannt den hier in Riwoche etwa hundert Meter breiten Brahmaputra in zwei Schritten: von einer Uferseite bis zu einem vorgefundenen oder aufgetürmten Flußsteinfundament und von dort in einem zweiten Schritt, eine für Thangtong Gyälpo typische nachweisbare Methode, wie z. B. in Zetang. Bis heute nicht rostende Eisenketten, geschmiedet in einer historisch einmaligen Technik aus Eisen von Kongpo im weiten Osten Tibets, geschmiedet in Bhutan, mit Yaklederstreifen verbunden, in denen Holzbohlen als Fußsteg liegen, tragen heute wie seit über 500 Jahren die Pilger und Gläubigen sicher über den Fluß, während eine neue chinesische Kabelbrücke einen Steinwurf weiter für den Tagesverkehr mit Tieren und Lasten genutzt wird. Die Brückenkonstruktion ist von heute noch beeindruckender Einfachheit und Funktionalität.

 

Die Brückenköpfe weiterer Brücken Thangtong Gyälpos (zum Beispiel in Doscum Bhutan) sind Gebäude mit Widerlagern und gleichzeitig Opferschreine. Wir haben sechs Brücken des großen Tibeters lokalisieren können. Seiner Biographie zufolge hat er sechzig oder achtzig oder 108 (heilige Zahl) und zahlreiche Holzbrücken und Fähren gebaut. Sie verteilen sich vom Osten Tibets (Khams) bis weit in den Westen, ja sie sollen von Kashmir bis Assam zu finden sein.

 

Auch diese Brücken sind über ihre Funktionalität hinaus gebaute Philosophie. Sie helfen den Lebenden und verbinden sie miteinander im geistigen Bewußtsein der gegenseitigen Abhängigkeit aller voneinander. Die Chinesen erkennen aus ihrer materialistischen Sicht nicht zu Unrecht Thangtong Gyälpo als die einzige historische, soziale, tibetische Persönlichkeit an, Es paßt ihnen natürlich auch, daß er technologisch fortschrittlich war. Seine anderen "Berufe" und Qualitäten sehen sie nicht. Dabei war er ebenso bedeutend als Innovateur der Architektur (Dumtse), als Maler, Bildhauer, Poet, Komponist der noch heute gesungenen Arbeitslieder, als Gründer des tibetischen Theaters, als Mediziner, Philosoph und geistiger Führer einer renaissancehaften Zeit des Umbruchs auch in Tibet, der Zeit Leonardo da Vincis in Europa, mit dem wir ihn ohne weiteres vergleichen können.

 

 

Wolf Kahlen

 

Vorabdruck aus: Helmut Steckel (Hg.) Tibet - eine Kolonie Chinas. Ein buddhistisches Land sucht die Befreiung. Hamburg, vorauss. Sept. 1992

 

 

 

 

 

 

Die Eisenkettenhängebrücke.

 

© Thang-stong-Gyal-po Archiv Berlin (Wolf Kahlen und Jos Maseland)